Die Kandidatinnen 1 - 3 von x
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by alphatier, © 2015*
	
*kopieren, ausdrucken, reposten ist alles erlaubt

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f(15)-solo, teen, slow, scFi, wpm, noend, long, horror, celeb,
humil, alien

Inhalt: Als die fünfzehnjährige Jungschauspielerin Jelena
aufgrund einiger Probleme mit ihrem Umfeld von ihren Eltern auf
ein privates Eliteinternat geschickt wird, soll alles anders
werden. Doch das Mädchen merkt schnell, dass an der Schule
seltsame Dinge vor sich gehen. Irritiert versucht sie, der Sache
auf den Grund zu gehen. - Basiert stark auf Virtual Scott's
"Prospects". - Hinweis: Die Geschichte entwickelt sich langsam,
ist noch nicht fertig und soll im Verlauf etwas düsterer und
ekliger als das Original werden.
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"Nowhere in space will we rest our eyes upon the familiar shapes
of trees and plants, or any of the animals that share our world.
Whatsoever life we meet will be as strange and alien as the
nightmare creatures of the ocean abyss, or of the insect empire
whose horrors are normally hidden from us by their microscopic
scale."

- Arthur C. Clarke


Dunkle Zeichen[SPOILER] 	

Die kleine Gruppe aus Zivilisten in Anzügen und Uniformierten
stand schweigend vor der riesigen Computerwand, auf der hunderte
von roten, grünen und blauen Dioden wild und in den seltsamsten
Mustern blinkten.
Aber die Männer sahen nicht auf die kleinen Lämpchen. Sie
blickten wie gebannt auf einen dicht mit Zahlen und scheinbar
sinnlosen Buchstabenkolonnen bedruckten Papierstreifen, der mit
leisem Surren kontinuierlich aus einem schmalen Schlitz an der
Vorderseite des Computers herauskam.
Doch was für Laien, wenn sie den Papierstreifen je zu Gesicht
bekommen hätten, wie unscheinbarer Zahlensalat, kryptische
Börsenkürzel oder Fehldrucke ausgesehen hätte, war für die
Männer das je nach Standpunkt faszinierendste oder
erschreckendste, was sie in ihren teils jahrzehntelangen
Karrieren als Wissenschaftler oder Militärs erlebt hatten.
Keiner konnte sich erinnern seit dem vom SETI-Projekt im August
1977 aufgefangenen Wow-Signal etwas auch nur annähernd
vergleichbares gesehen zu haben und das, was hier seit zwei
Stunden aus dem Computer kam war tausendfach stärker.
Mit unfassbaren Zwei Punkt Acht Gigawatt Sendeleistung hatte der
Computer die Signalstärke berechnet und auch wenn sie nicht zu
entziffern vermochten, was die Zeichen bedeuteten, war die
Struktur der Daten doch so systematisch und komplex, dass jedem
in dem abgedunkelten Raum klar war, dass sie es nicht mit
zufälligen Signalen zu tun hatten.
Sondern einem Werk hochintelligenten Ursprungs.
Um Sprache.
Einer Sprache, die sie nie verstehen würden, sich aber wenn es
möglich gewesen wäre, etwa so angehört hätte ...
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"... aber ist es auch möglich ? Es hieß stets, es wäre nie zu
bewerkstelligen."
"Wir haben die einheimische Bevölkerung gründlich beobachtet,
ihre Genetik untersucht und technologische Fortschritte gemacht,
aber ob es auch praktikabel ist, wer weiß ..."
"Dann gibt es eine Lösung?!"
"Nicht für uns, der Prozess ist bereits zu weit fortgeschritten,
aber für die, die nach uns kommen besteht vielleicht Hoffnung.
Vielleicht."
"Vielleicht?"
"Wir haben es erst einmal versucht und wir kennen alle das
Resultat."
"Sie meinen die Testreihe ihres Vorgängers."
"Ja, wir orientierten uns damals an Strategien einiger uns
ähnlicher, jedoch leider viel zu kleiner Lebensformen auf ihrem
Planeten. Der hohe Stresslevel der darauf nicht vorbereiteten
Testsubjekte bei gleichzeitig geringer Schmerztoleranz
produzierte untragbare Biowerte, die unsere Jungen schädigten."
"Ich dachte, diese Biowerte wären wünschenswert."
"Wünschenswert für die Jungen, nicht für die Wirte. Wir
konnten selbst mit größten Mühen kaum einen länger erhalten,
geschweige denn wiederverwenden."
"Aber grundsätzlich war es möglich?"
"Es ist eine Frage der Balance. Unsere Jungen sind jetzt
anpassungsfähiger. Aber ständige kontrollierte Exposition
während der prenatalen Entwicklung ist weiterhin absolut nötig,
damit sie sich während ihrer Entwicklungstadien an die
Umweltgifte dieser Welt anpassen können."
"Aber das ist doch alles zu bewerkstelligen."
"Sie verstehen nicht ganz. Ständige kontrollierte Exposition
bedeutet bei der Anzahl, die für unser Überleben erforderlich
ist, dass die Aufzucht nicht auf herkömmliche Weise erfolgen
kann."
"Wie dann?"
"Nun, unter Berücksichtung unserer begrenzten Ressourcen,
unserer Position und ihres schwergeschädigten Ökosystems
müssen wir Surrogatenmütter aus der dominanten Spezies dieses
Planeten nehmen."
"Also doch. Aber wo ist das Problem? Es gibt Milliarden von ihnen
und die vergleichsweise wenigen, die wir benötigen, wird man
kaum vermissen."
"Lassen sie mich ausreden. Denn da gibt es einige Probleme.
Zuerst sind geeignete Exemplare aufgrund des Sozialverhaltens der
dominanten Spezies über einfache kleine Testreihen hinaus nicht
so einfach zu beschaffen. Weiterhin ist auch der neue optimierte
Prozess sowohl psychisch als auch physisch extrem belastend für
den Wirt, da dieser sich an das Junge anpassen muss und
umgekehrt. Nur junge, gesunde Wirte kommen dafür in Frage, denn
wenn der Surrogat abstirbt, sterben auch unsere Jungen.
Damit einhergehend werden umfangreiche Anstrengungen nötig sein,
um die Implantation überhaupt durchzuführen. Anatomie und
Metabolismus zu uns sind grundverschieden und solange wir nicht
grundlegende operative Veränderungen vornehmen, wird es zur
Abstoßung kommen. Dazu kommt, dass die Weibchen der
einheimischen Lebensformen zwar in einem Prozess, denn wir
operativ unterstützen würden, eine körpereigene Nährlösung
produzieren, die für die Aufzucht unserer Jungen notwendigen
Stoffe jedoch leider regelmäßig filtriert und ausgeschieden
werden, so dass sie konstant neuzugeführt werden müssen."
"Dann tun sie es."
"Wir arbeiten daran, doch viel problematischer ist, dass unsere
technischen Ressourcen vor Ort nicht ausreichen, um eine
ausreichende sich selbst erhaltende Population aufzubauen, was
bedeutet, dass die Implantation weitgehend natürlich erfolgen
muss."
"Natürlich?! Wie soll das gehen?"
"Ich sagte weitgehend natürlich. Gewisse Beeinflussungstechniken
und Vormaßnahmen werden natürlich erforderlich sein. Es ist
jedoch grundsätzlich möglich, wenn man vom Hauptproblem unserer
kaum vorhandenen physischen Kompatibiltät absieht."
"Ich hörte davon."
"Ja, sie ertrugen unseren Anblick nicht und es war ein wichtiger
Grund für die hohen Streßlevel der Wirte bei der ersten
Testreihe. Aber drittens. Wir müssen berücksichtigen, dass sie
ein komplexes und irrationales Sexual- und Paarbindungsverhalten
haben, was wir jedoch zu unserem Vorteil nutzen können."
"Komplex?"
"Ja, wie in der Tat das gesamte humanoide Sozialverhalten. Denn
sie scheinen, und das ist Problem Nummer Vier, ihre Jungen und
speziell die jungen Weibchen äußerst aggressiv zu überwachen
und zu verteidigen. Es ist vermutlich ratsam, davon auszugehen,
dass sie sich hier ähnlich wie wir verhalten. In dieser Hinsicht
können wir es uns nicht erlauben, die lokale Bevölkerung mit
unserer unzweifelhaft als feindlich wahrgenommenen Präsenz zu
verstören und so unsere Jungen und damit unsere gesamte Spezies
der Auslöschung preiszugeben."
"Gibt es Anzeichen, dass unsere Anwesenheit entdeckt wurde?"
"Nein."
"Gut. Dass heißt, dass wir jetzt einen sicheren abgelegenen Ort
finden müssen, dessen geographische Lage und demographische
Zusammensetzung uns erlauben, die Implantationen gründlich
vorzubereiten und wo die Surrogatenmütter unsere Jungen
austragen können."
"Das ist korrekt."
"Und das Problem ist, dass wir nicht in der Lage sind, eine
ausreichende Anzahl junger humanoider Weibchen zu gewinnen?"
"Im Moment, aber wir haben bereits einen Plan dazu entwickelt."
"Und wie soll der aussehen?"
"Im Kern werden wir sie bezahlen, uns ihre Jungen zu bringen."
"Was? Kein rationales Wesen würde das tun!"
"Wir würden ihnen natürlich nicht sagen, was wir dort vorhaben
und zusätzliche einige erwachsene Humanoide brauchen, die in
unserem Sinne mit der Bevölkerung interagieren."
"Das erhöht aber das Risiko."
"Nur unwesentlich. Die meisten würden es, ohne es zu ahnen tun,
nur einige wenige würden wir tatsächlich zu Drohnen machen. In
unseren Plänen ist direkter physischer Kontakt kaum nötig,
beziehungsweise dient nur der Versicherung."
"Was genau wollen sie also tun?"
"Wir haben überlegt, eine Schule zu eröffnen."
"Eine ... Schule?"
"Die Humanoiden senden ihren Nachwuchs beinah täglich für einen
erheblichen Zeitraum dorthin. Wir dachten dabei speziell an ein
sogenanntes privates Sportgymnasium mit einem angeschlossenen
Internat. Eine Institution, wo der Nachwuchs untergebracht wird,
dessen Eltern zu wenig Zeit für die Aufzucht haben. Die
natürliche Hierarchie solcher Einrichtungen erlaubt uns, eine
erhebliche Kontrolle über die Wirte auszuüben, ohne dabei
Verdacht zu erregen."
"Aber kriegen wir dann auch genau die gewünschten Exemplare?"
"In Erdzeit gerechnet beginnt der humanoide Nachwuchs die Phase
der Schulzeit mit fünf bis sechs Jahren, wobei dieser jedes Jahr
in die nächsthöhere sogenannte Klasse aufrückt. Mit sechs
Jahren sind humanoide Weibchen für unsere Zwecke jedoch noch zu
jung, aber wir werden die weiblichen Exemplare so die ganze Zeit
auf ihre Rolle als Wirte vorbereiten können. Die Empfängnis ist
ab 12 bis 13 Erdenjahren möglich, wobei es ab hier in der Regel
noch bis zu sechs Jahre dauert, bis die postmenarchischen
Weibchen ihre maximale Empfänglichkeit erreicht haben."
"Also mit 18 Erdenjahren?"
"Ja, aber wir werden die Empfänglichkeitswahrscheinlichkeit
medikamentös oder operativ erhöhen, wenn es angebracht ist. Das
praktische dabei ist, dass in unserer humanoiden
Verwaltungseinheit bei Schulen eine organisatorische Trennung
erfolgt, wenn der als Schüler bezeichnete Nachwuchs mit 15 oder
16 Erdenjahren in die zehnte Klasse kommt. Bei einem Gymnasium
wäre das die gymnasiale Oberstufe. Es wäre daher unauffällig
möglich, die zur Serienproduktion vorgesehenen zuchtbereiten
Weibchen von den jüngeren zu trennen."
"Und das soll nicht auffallen?"
"Es würde natürlich bei weitem nicht alle Weibchen betreffen."
"Schön, aber was machen sie mit den Männchen?"
"Wir brauchen einige, um das soziale Gefüge der Schule aufrecht
zu halten, humanoide Weibchen scheinen Wert darauf zu legen, doch
wir werden nicht mehr als ein Drittel Männchen zulassen."
"Das geht?"
"Es wäre eine Sache des Selektionsprozesses bei der Aufnahme.
Genau so wie wir auf Intelligenz, Fitness, Gesundheitszustand und
solche Dinge achten, könnten wir auch das
Geschlechterverhältnis kontrollieren. Wir könnten durch ein
Geld genanntes erdtypisches Anreizsystem speziell weibliche
Schüler fördern."
"Nun gut, aber wie kriegen wir dieses ... Geld?"
"Zum einen durch Manipulation ihrer mit dem Austausch dieses
Geldes befassten Computernetzwerke, was mit unserer Technologie
leicht zu bewerkstelligen ist. Zum anderen durch Erlöse aus der
Vermarktung der Wirte während des mehrjährigen
Konditionierungsprozesses."
"Wie dieses?"
"Die Wirte unter unserer Obhut wären bei uns auf dem Höhepunkt
ihrer sexuellen Reife sowie Leistungs- und Belastungsfähigkeit.
Ein erheblicher, wenn auch aus sozialen Gründen unterschlagener
Teil der humanoiden Ökonomie besteht aus Diensten, die sich mit
dem Reproduktionsverhalten der Wirte beschäftigen. Je jünger
die Weibchen und um so ausgefallener ihre Behandlung, desto
einträglicher."
"Wie sollten wir auf diesem ... Markt bestehen können?"
"Seltsamerweise haben die Humanoiden äußerst restriktive
Handhabungen, was die Sexualität ihrer jungen Weibchen angeht."
"Bizarr."
"In der Tat, da ein großer Markt für Material besteht, welches
extrem aggressives, dominantes und destruktives Verhalten
gegenüber ihren jungen Weibchen zeigt."
"Sie meinen nicht einvernehmliche Vereinigungen, wie bei der
ersten Testreihe."
"Ja. Aber wir würden uns damit natürlich verraten."
"Sicher, aber wäre eine Vermarktung unsererseits dann nicht
grundsätzlich viel zu auffällig."
"Wäre es, denn in bestimmten nach humanoiden Standards
unethischen Segmenten wären wir praktisch sofort der
dominierende Anbieter. Wir haben daher umfangreiche Methoden
entwickelt, um dieses Problem zu umgehen."
"Na schön, aber es scheint uns immer noch seltsam, dass man in
solch einer repressiven Gesellschaft einfach so eine Schule
kaufen kann oder seine Nachkommen Fremden überlässt."
"Es klingt erstaunlich, aber tatsächlich wollen viele humanoide
Eltern so etwas für ihre Kinder. Und besonders Privatschulen
sind im Augenblick sehr populär. Offensichtlich scheinen sie
eine extrem kompetitive Gesellschaftsordnung zu haben, bei der
die Ausbeutung ihrer Artgenossen oberstes Prinzip ist. Die
Humanoiden glauben, dass je besser die Schule ist um so besser
ihr Kind in diesem seltsamen Wettstreit ist."
"Das klingt extrem primitiv und irrational, aber das soll uns nur
Recht sein. Doch wie genau wollen sie vorgehen?"
"Der Plan sieht vor, eine mit diesem Geld äußerst gut
ausgestattete Stiftung zu eröffnen, die sich in einem
geographisch und demographisch geeigneten Gebiet mit Personen von
Einfluß und Eltern, die sich eine solche Schule wünschen
zusammenschließt. Diese von uns kontrollierte Stiftung würde
dann Lehrpersonal anwerben und einen Lehrplan entwerfen, der
unseren Erfordernissen entspricht."
"Und diese Lehrer ..."
"... werden soweit nötig konditioniert werden."
"Nun gut. Ich werde ihre Vorschläge den Ältesten vorlegen.
Sagen sie mir nur noch, wie lange sie brauchen werden, um diesen
Plan umzusetzen."
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Sechs Jahre später ...

Die mittelgroße Frau hinter dem Rednerpult war frustriert. Seit
einer halben Stunde hatte sie die Argumente des Lehrerkollegiums
vorgetragen, aber sie schien zu ihrem Publikum und den drei
Personen hinter dem großen Tisch zu ihrer rechten einfach nicht
durchzudringen.
"Aber es ist einfach nicht fair, fast die ganze bisherige
Schulbelegschaft zu ersetzen.", versuchte sie es erneut und
wischte sich den Schweiß von der Stirn, "D-die ... die Probleme,
die wir hatten waren auf unkooperative Eltern selber und einige
unglückliche Fehler der Verwaltung zurückzuführen."
Es klang beinah verzweifelt und sie blickte nach rechts, wo der
hagere etwa fünfzigjährige Mann, der in der Mitte hinter dem
Tisch saß nur den kahlen Kopf schüttelte.
Er griff nach einem Mikrofon vor ihm und begann zu sprechen.
"Frau Willert.", sagte er ungerührt, "Wir haben das doch alles
besprochen. Und der Stadtrat hat in Person von Frau Wien das
Angebot der Asilida-Stiftung vollumfänglich geprüft und als das
bessere befunden."
Er schaute kurz zu einer sehr attraktiven Endvierzigerin in einem
kobaltblauen Businesskostüm neben ihm, die ihm kurz zustimmend
zu nickte und dann wieder ihren wachem Blick ins Publikum
richtete.
"Aber was wird denn dann aus den Schülern?", fragte derweil die
Frau am Rednerpult mit Bitterkeit in der Stimme, "Diese
Asilida-Stifung ist doch völlig neu auf dem Gebiet und sie haben
bereits erkennen lassen, dass sie die meisten Mitglieder der
alten Belegschaft nicht übernehmen werden. Und ich wiederhole
noch einmal, dass die aufgetauchten Probleme nicht durch uns als
Schule verursacht wurden und auch die finanzielle Problematik mit
etwas Unterstützung durch den Stadtrat beherrschbar ist."
Aber der Mann schüttelte wieder nur den Kopf.
"Eine weitere Förderung durch die Gemeinde oder das Land läßt
die derzeitige Situation nicht zu und die Schüler werden soweit
gewünscht in der Schule verbleiben oder mit Unterstützung des
Landes in andere Schulen transferiert werden."
Andrea Willert konnte es nicht fassen und sie spürte, wie sie
mit aufkommenden Tränen zu kämpfen hatte.
"Aber ..."
"Es tut mir Leid.", unterbrach der Mann sie jedoch etwas genervt,
"Aber in Anbetracht der Tatsache, dass bei dieser finalen
Anhörung keine neuen Fakten vorgebracht wurden, entschließt
sich der Stadtrat der Gemeinde Kreventhal einstimmig dazu, die
Leitung und den Betrieb des Friedrich Ludwig Jahn Gymnasiums ab
dem ersten August 2011 für fünf Jahre der Asilida-Stiftung zu
übertragen und den Status einer staatlich anerkannten
Ersatzschule mit pädagogischer Prägung anzuerkennen. Es gelten
dabei die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen sowie die
vorher veröffentlichten und in gegenseitigem Einvernehmen
vereinbarten Regelungen. Die Sitzung ist damit geschlossen. Guten
Abend."
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1. Ein neuer Anfang

Jelena blickte mürrisch auf das große Schild neben der großen
Doppelholztür.
"Friedrich Ludwig Jahn Sportgymnasium - Asilida-Stiftung" stand
dort und darunter "Mens sana in corpore sano".
Jelena nahm an, dass es lateinisch war und blickte zu ihrer
Mutter, die es sich nicht hatte nehmen lassen, ihre
fünfzehnjährige Tochter, noch zu begleiten.
"Mach' nicht so ein Gesicht.", sagte sie mit einem leicht
vorwurfsvollen Lächeln und wischte Hannah, eine ihrer braunen
stets so widerspenstigen Strähnen aus dem Gesicht, "Nur ein
einziges Mal."
Jelena wischte die Hand ihrer Mutter heftig beiseite, dass ihr
fast der über eine Schulter geschwungene Rucksack von der
Schulter gefloge wäre.
"Mom, bitte.", sagte sie genervt und hoffte, dass diese endlich
gehen würde.
Doch diese lachte nur auf und schüttelte den Kopf.
"So leicht wirst du mich nicht los.", sagte sie und öffnete die
Tür, hinter der sich ein weites Foyer auftat mit einem modernen
schreibtischartigen Tresen mit einem ultradünnen Notebook darauf
auftat, der so überhaupt nicht zu dem restlichen
mittelalterlichen Ambiente des mehrere hundert Jahre alten
Gebäudes, einem ehemaligen Schloss, passte.
Genau so wenig, wie der hohe hässliche Sicherheitszaun, der das
riesige ansonsten so malerisch im Wald gelegene Areal umgab,
dachte Jelena und schaute nach rechts, wo jetzt eine
wunderhübsche Brünette anfang Zwanzig in diesem typischen
Outfit, dass hier alle zu tragen schienen, herbeigeeilt kam.
Guten Tag meine Damen. Willkommen im Friedrich Ludwig Jahn
Sportgymnasium der Asilida-Stiftung. Ich bin Marie Meinzenbach.",
sagte die junge Frau derweil mit einem feinen Lächeln und blieb
einen Meter vor ihnen stehen, "Haben wir hier eine neue
Schülerin?"
Jelena schüttelte kaum merklich den Kopf, doch ihre Mutter
nickte mit einem missbilligenden Seitenblick zu ihr und packte
sie sachte am Handgelenk, um sie zum Tresen zu ziehen.
"Hallo Marie.", sagte sie dann lächelnd, "Mein Name ist Irina
Herrmann und das ist meine Tochter Jelena. Sie ist für die
zehnte Klasse angemeldet."
Marie nickte leise den Namen wiederholend und ging zu ihrem
Schreibtischtresen, wo sie einen daraufliegenden Aktenordner
aufschlug.
"Der perfekte Zeitpunkt eigentlich.", sagte sie dabei, mit einem
strahlenden Seitenblick aus ihren blauen Augen, "Letzte Woche
hatten wir viel zu tun, um das Schuljahr vorzubereiten."
Jelena fand das überhaupt nicht perfekt, aber ihre Eltern hatte
gesagt, dass sie den Urlaub nicht anders bekommen hatten und dass
es nicht schlimm wäre, nicht gleich am ersten Tag des Schuljahrs
zu erscheinen.
Dabei hatten sie diese Schule für Jelena unter anderem deswegen
ausgesucht, weil die Leitung hier sehr viel Wert auf Regeln
legte. Und zumindest was die Kleidung anging, schien das zu
stimmen, denn Maries dunkelblaue Schuluniform saß tadellos,
obwohl Jelena nach genauerer Betrachtung merkte, dass die
Schülerinnen, die sie bis jetzt gesehen hatte, eine leicht
veränderte Version getragen hatten.
Marie schien derweil gefunden zu haben, was sie suchte.
"Ahh.", sagte sie fröhlich und schaute zu Jelena, "Jelena
Coralie Herrmann, geboren am 8.12.1999. Richtig?"
Jelenas Mutter nickte.
"Genau. Das ist sie."
Ein leichter Schatten fiel über Maries schönes Gesicht.
"Wir sind ein G9 Gymnasium, dass in einem Jahr weniger zum Abitur
führt. Von ihrem Alter her könnte sie also bereits in die elfte
Klasse bei uns.", sagte sie etwas irritiert und schaute zu den
beiden ,"Und normalerweise nehmen wir auch nur alle zwei Jahre,
als erst nächstes, wieder auf."
"Nun, ja", sagte Jelenas Mutter, der die Sache sichtlich ein
wenig unangenehm war, "ich hatte das mit der Leitung besprochen
und, nun, meine Tochter ist etwas im Rückstand. Sie ist ... war
Schauspielerin im Fernsehen, Schloss Einstein, vielleicht kennen
sie die Serie ja und na ja, das schränkte den Unterricht etwas
ein ... dazu kam ein kleines Problem mit, nun ja, einem
aufdringlichen ... Fan."
Sie begann etwas zu stocken, doch Marie lächelte nur.
"Kein Problem. Wir haben Erfahrung mit solchen Fällen. Ihre
Tochter wird hier völlig ungestört sein."
Jelena verzog nur leicht den Mund und hörte weg, während sich
Marie jetzt mit ihrer Mutter über Formalitäten unterhielt. Sie
wollte das ganze Prozedere hier möglichst schnell beenden und
endlich ihr Zimmer sehen und sich ausruhen.
Sie hatte trotz allem nicht hierhergewollt, aber ihre Eltern
waren nach ihren immer schlechter gewordenden Noten schließlich
der Meinung gewesen, dass eine Besserung in ihrem bisherigen
Umfeld nicht möglich war.
Und da die beiden aufgrund ihrer beruflichen Stellungen als
Abteilungsleiter eines Versicherungskonzerns und Firmenanwältin
einer Unternehmensberatungsfirma ohnehin dauernd unterwegs waren,
hatten sie entschieden, Jelena von ihrer alten Schule zu nehmen
und hier, weit genug weg, einen Neustart zu versuchen.
Denn Jelenas Noten waren nicht nur wegen der Schauspielerei so
plötzlich gefallen. Das Mädchen schüttelte unwillkürlich
traurig den Kopf und schob den Gedanken beiseite. Denn auch wenn
ihr hier auf Anhieb einiges nicht gefiel, war das Jahn Gymnasium
jetzt für die nächsten vier Jahre ihr neues Zuhause. Mit neuen
und hoffentlich besseren Freunden.
Denn ihr altes Gymnasium in Jena war keine schlechte Schule
gewesen, das Problem waren die Idioten, die dort eingeschrieben
waren. Und Jelena fragte sich, ob die Leute hier wirklich besser
waren.
Sie bezweifelte es, aber zumindest sahen sie in ihren
Schulfuniformen wesentlich disziplinierter und harmloser aus.
Davon abgesehen klang das Konzept der Schule beeindruckend und
Jelena hörte wieder genauer hin, als Marie ihrer Mutter genau
davon zu erzählen schien.
"... der Fokus liegt also anders als bei öffentlichen Schulen
klar auf akademischer Disziplin, physischer Fitness und
persönlicher Verantwortung.", erklärte Marie lächelnd, "Es
wird dabei für sie etwas ungewohnt sein, aber wie sie überall
sehen können, haben wir einen strikten Dresscode. Wir werden
Jelena gleich die Maße dazu abnehmen."
Das Mädchen glaubte, sich verhört zu haben, doch ihre Mutter
nickte nur, während Marie bereits ungerührt fortfuhr.
"Wie sie ja wissen, haben wir weiter eine strenge
Anwesenheitspflicht, Verhaltens- und Besuchsregeln. Nichts soll
die Konzentration unserer Schüler stören. Daher sind auf dem
Schulgelände auch keine Handys gestattet und müssen bei
Betreten des Schulgeländes abgegeben werden. Und auch andere
elektronische Geräte wie MP3-Player oder Laptops nur nach
Genehmigung erlaubt."
Jelena schrak auf und auch ihre Mutter blickte irritiert.
"Davon stand nichts in dem Prospekt. Wie soll sie denn mit uns
telefonieren und ein Computer gehört doch zur heutigen
Arbeitswelt."
Marie lächelte.
"Oh, natürlich. Aber es steht alles in dem Vertrag, den sie
unterschrieben haben. Und keine Angst, die Asilida-Stiftung
stellt natürlich von Hause aus erstklassige Möglichkeiten zur
internen und externen Kommunikation und modernste Arbeitsgeräte
zur Verfügung. Aber seit wir diese Schule vor drei Jahren
übernommen haben, sind einige neue teils sogar revolutionäre
Lernkonzepte eingeführt worden. Dazu gehörte auch die Kontrolle
über die heutzutage immer leistungsfähigere Technik zu
behalten. Ein Umstand, mit dem unsere Vorgänger große Probleme
hatten."
Jelenas Mutter nickte verständnisvoll.
"Wem sagen sie das.", entfuhr es ihr beruhigt.
Jelena war dagegen empört. Sie dachte nicht daran, ihr Handy
abzugeben oder ihren MP3-Player, doch Marie schien im Moment
nicht daran zu denken, sondern begann weiter von dem
Schulprogramm zu erzählen.
"... darum gibt es bei uns auch nur 100%ig gesundes speziell von
Spitzenköchen zubereitetes und auf den jeweiligen Schüler
abgestimmtes Essen.", hörte Jelena, Marie sagen und verzog den
Mund, während ihre Mutter interessiert dreinschaute.
"Fantastisch.", sagte sie, "Ich wünschte, mein Arbeitgeber
würde so etwas einmal tun."
Marie lachte.
"Unsere Schüler brauchen meist etwas, um sich daran zu
gewöhnen, dass es keine Softdrinks oder Fastfood in den
Automaten gibt."
Jelena lächelte säuerlich. Noch eine Regel, die sie brechen
würde, dachte sie und blickte zu ihrer Mutter, die nur kritisch
zurückschaute und zu ahnen schien, was ihre Tochter dachte.
"Das wird nur gut für dich sein.", sagte sie dann und nickte,
bevor sie wieder zu Marie blickte, "Auch der Sport."
"Ja.", sagte diese, "Neben technisch-analytischen Fähigkeiten
liegt unser Fokus natürlich klar auf sportlichen Fähigkeiten,
wobei jeder Schüler einen Schwerpunkt wählen kann. Mit Ausnahme
von Schwimmen, was verpflichtend für alle ist."
Jelena wusste es schon. Sie hatte eine Menge recherchiert, als
ihre Eltern ihr angesichts ihrer Krise vor einem halben Jahr von
der neuen Schule erzählt hatten.
Marie machte plötzlich große Augen, als habe sie etwas
vergessen und griff in ihre Schublade, um einen weißen Zettel
hervorzuholen.
"Richtig.", sagte sie lachend, "Ich muss dich ja noch fragen,
welches Wahlfach du haben willst. Das meiste ist zwar festgelegt,
aber eine freie Aktivität gibt es für jeden. Sag mir was dir
gefällt. Danach machen wir das Foto für die ID-Karte und nehmen
deine Maße ab."
Sie reichte Jelena das Formular herüber, auf dem das Mädchen
nach einigem Suchen an einem Eintrag hängenblieb.
"Schülerzeitung und Newsletter.", sagte sie, "Geht das?"
Es brachte einige unangenehme Erinnerungen hervor, doch die
Fünfzehnjährige hatte sich vorgenommen, sich hier nicht von der
Vergangenheit plagen zu lassen.
"Natürlich.", sagte Marie und lächelte, wie schon die ganze
Zeit.
Es wirkte langsam irgendwie falsch und Jelena hatte das Gefühl
dass sie die gleiche Reaktion bekommen hätte, wenn sie
Kannibalismus oder Serienmord angegeben hätte. Marie tippte
derweil einige Tasten ihres Notebooks, als man von rechts
plötzlich leises Schluchzen hörte.
Die drei blickten nach rechts, wo man jetzt ein hübsches
schlankes weinendes Mädchen, vielleicht ein Jahr jünger als
Jelena mit zwei Frauen an seiner Seite aus einem breiten Gang mit
Bogendecke entlangkommen sah.
" ... bitte Mom.", schluchzte sie und schaute, sich nervös durch
die langen rotblonden Locken fahrend, flehentlich zu einer
großen brünetten Frau mit einem Rucksack in der Hand, "Kann ich
nicht wieder nach Hause? Bitte!"
Diese schüttelte nur den Kopf.
"Das haben wir doch schon besprochen Kaja.", sagte sie und
blickte kurz und wie Jelena fand, relativ kühl zu ihnen, bevor
sie sich wieder zu ihrer Tochter drehte, "Du wirst jetzt mit der
Schulpsychologin mitgehen."
Die andere Frau, eine attraktive Blonde mit schwarzer Brille und
einem Pferdenschwanz nickte freundlich.
"Ja, komm jetzt bitte Kaja.", sagte sie, "Wir gehen erst einmal
in mein Zimmer und besprechen in Ruhe alles. In Ordnung?"
"Bitte. Ich fühl' mich nicht gut.", sagte das Mädchen noch
einmal leise zu seiner Mutter, doch diese schaute jetzt nur
beinah gleichgültig über die Szenerie.
Sie schüttelte erneut den Kopf und beschränkte sich darauf, das
orangene geflochtene Halstuch und das eng taillierte blaue
Schuljacket ihrer Tochter noch einmal geradezuzupfen. Jelena fand
sie ziemlich herzlos, doch irgendwie fand sie auch das Verhaltens
des Mädchens etwas peinlich. Mit dreizehn, vierzehn war man
schließlich kein Baby mehr.
"Geh jetzt bitte mit Doktor Rogall mit Kaja.", sagte die Mutter
des Mädchens dann noch einmal nachdrücklich, doch das Mädchen
trat jetzt einen Schritt von den beiden zurück und schüttelte
den Kopf.
"Ich geh da nicht mehr rein.", sagte sie mit tränenerstickter
Stimme, während ihre Mutter nach ihrem Arm griff, damit ihre
Tochter nicht noch weiter zurückweichen konnte. Sie bugsierte
das jetzt nur schwach widerstrebende Mädchen mit Hilfe der
Psychologin einige Meter weiter in eine Nische und begann erneut,
diesmal jedoch unverständlich auf sie einzureden.
Auch die Psychologin sagte etwas und die Mutter von Kaja zuckte
plötzlich mit den Achseln und reichte der anderen Frau den
Rucksack. Dann drehte sie sich um und ging, ohne sich noch einmal
zu ihrer Tochter umzublicken zum Ausgang und verschwand durch die
Tür.
Jelena schaute nur verständnislos zu Marie, die jedoch völlig
gleichgültig lächelte, als wenn die Szene völlig normal wäre.
"Das ist Kaja. Kaja Eckert. Aus deiner künftigen Klasse.", sagte
sie dann scheinbar mitfühlend zu Jelenas Mutter blickend, "Sie
gehört zu denen, die hier anfingen als die Asilida-Stiftung
übernahm und ist eigentlich hochbegabt, aber sie hat leider
einige grundsätzliche Probleme und Anpassungsschwierigkeiten,
die nur schwer beherrschbar sind."
Jelenas Mutter nickte.
"Offensichtlich.", sagte sie irritiert, "Vielleicht sollte ihre
Mutter sie noch in ihr Quartier begleiten."
"Tut mir Leid.", sagte Marie bedauernd, "Das ist leider nicht
gestattet. Die Schüler haben ihren Bereich, der nur für sie,
die Lehrer und das Lernen reserviert ist. Es ist alles
psychologisch durchdacht. Und Kaja ist bei Shalin, also Doktor
Rogall in guten Händen. Sehen sie, sie hat sich schon wieder
etwas beruhigt."
Sie schaute zu der blonden Frau und dem Mädchen, dass jetzt
tatsächlich etwas ruhiger war, aber immer noch feuchtglänzende
Spuren von Tränen auf seinen niedlichen geröteten
Hamsterbäckchen hatte. Mit eingesunken schmalen Schultern stand
die Kleine kläglich da und ließ sich jetzt den Rucksack in die
Hand geben, während die Frau gleichzeitig ihre Hand ergriff.
Sie nickte noch einmal und verschwand dann mit ihr durch eine
massive Holztür in der Wand des gegenüberliegenden Ganges.
"Nun, ich hoffe, dass sie das nicht abgeschreckt hat.", lachte
Marie und stand mit einem Blick zu Jelenas Mutter auf, "Aber wenn
sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt die Körpermaße
abnehmen. Als0 wenn sie ..."
Jelenas Mutter nickte.
"Ja, natürlich.", sagte sie schnell, "Wir wollten sowieso keinen
großen Abschied machen und mein Mann wartet mit dem Auto vor dem
Haupttor."
"Sehr gut.", sagte Marie fröhlich, "Ich bereite dann den Raum
vor. Und sie könnten sich inzwischen in Ruhe verabschieden."
Jelena schaute zu ihrer Mutter, die zustimmend nickte und wenige
Augenblicke später war Marie mit einigen Unterlagen durch eine
Tür hinter ihrem Schreibtischtresen verschwunden.
"Puhh.", entfuhr es Jelenas Mutter, "Es scheint hier ganz schön
stressig werden zu können. Ich möchte hier nicht den ganzen Tag
sitzen. Vor allem bei diesem Geruch."
Sie lachte, während ihre Tochter sie nur irritiert anschaute.
"Geruch?"
"Riechst du das nicht?", fragte ihre Mutter amüsiert und schaute
erstaunt zu ihrer Tochter, die es jetzt jedoch schlagartig auch
bemerkte.
Es war nicht sehr intensiv, aber sie wunderte sich trotzdem,
warum sie es nicht gleich gemerkt hatte. Es war irgendwie
süßlich aromatisch und gleichzeitig undefinierbar, aber nicht
unangenehm.
"Komisch.", entfuhr es Jelena, "Ist mir gar nicht aufgefallen."
Sie fragte sich, ob es vielleicht Maries Parfüm war, aber es kam
nicht in einer Wolke, sondern schien gleichmäßig überall zu
sein.
Ihre Mutter zuckte nur mit den Achseln.
"Wie auch immer.", sagte sie, "Wenn du ein Problem hast, meld'
dich, dann holen wir dich, ok?"
Jelena grinste schwach, war aber insgeheim froh, dass ihre Mutter
nicht so gedankenlos wie die Mutter von Kaja Eckert war.
"Mom, ich bin kein Baby.", sagte sie trotzdem mit betonter
Gelassenheit.
Sie war immerhin kein Kind mehr und tausende Fernsehzuschauer
hatten sie schauspielern sehen. Sie war definitiv jemand, der auf
sich selbst aufpassen konnte.
"Ich weiß Kleines.", sagte ihre Mutter dann auch nach passenden
Worten suchend, "Ich ... ich wollte dir einfach nur alles Gute
hier wünschen."
Und nach einigen weiteren Worten verabschiedete sich ihre Mutter
endgültig und verließ das Foyer. Jelena blieb zurück und
schaute ihr durch das kleine Fenster hinterher. Sie sah ihr noch
eine Weile hinterher, wie sie über den weißgestreuten Kiesweg
davonlief, drehte sich aber um, als sie hinter sich ein Geräusch
zu hören glaubte.
Es war jedoch niemand zu sehen und sie blickte sich in dem Foyer
um, dass jetzt mit den beiden nach den Seiten abgehenden
Bogengängen still und verwaist da lag. Es war wie viele im
Mittelalter gebaute Gebäude mit seinen kleinen Fenstern und
dicken Mauern trotz der hellen mittäglichen Augustssonne
draußen recht dunkel, so dass es nur einer merkwürdig
geformten, oranges Licht abgebenden Lampe an der Decke zu
verdanken war, dass es nicht noch dunkler war.
Es fühlte sich fast ein wenig umheimlich an und Jelena erinnerte
sich an das blonde Mädchen, dass ihr noch einen letzten und
irgendwie total resignierten Blick zugeworfen hatte.
Sie schien echt verzweifelt gewesen zu sein, dachte Jelena
mitleidig und erinnerte sich gleichzeitig auch an die stressige
Geschichte, die ihr widerfahren war.
Und daher war sie beinah froh, als Marie plötzlich aus der Tür
hinter ihrem Tresen heraustrat und ihr gestikulierte,
herüberzukommen.
"Komm her Jelena, wir nehmen jetzt die Messungen vor und machen
auch gleich das Foto für deine Chipkarte."
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Der kleine Raum, in den Marie Jelena hineingebeten hatte wirkte
wesentlich moderner, als das mittelalterliche Gebäude von außen
vermuten ließ.
Ein riesiger Flachbildschirm hing an der Wand und die
Empfangsfrau stand lächelnd neben an einem wandmontierten Tisch
mit einem Keyboard und einem grauen Kasten darauf.
Daneben war eine nur von einem Vorhang abgetrennte Nische, die
wie eine Umkleinekabine aussah und daneben noch eine Tür mit
einem gelben Warndreieck mit einem Biogefahrschild darauf.
"Pass auf.", sagte Marie fröhlich, "Du musst jetzt deine Sachen
ausziehen. Unterwäsche kannst du anbehalten, wenn sie nicht zu
locker ist, obwohl das meist nur ein Problem mit den Jungs ist.
Bei dir spielt es nur eine Rolle, wenn du einen gepolsterten
beziehungsweise Push-up BH hast. Den müsstest du ablegen. Dann
gehst du durch die hintere Tür in den Vermessungsraum. Keine
Angst, wegen dem Schild. Es ist dort nur aus rechtlichen Gründen
wegen des Lasers."
Jelena war etwas irritiert, nickte aber.
"Laser?"
"Ja, du wirst merken, dass hier alles trotz des alten Gebäudes
alles hochtechnisiert ist und vollautomatisiert läuft.
Jedenfalls gehst du dann in den Vermessungsraum und trittst auf
die roten Fußfelder und wartest, bis der Computer dir sagt, dass
du wieder rausgehen kannst. Ach so, deine Haare. Mach sie in
einen kurzen Pferdeschwanz oder nimm eine der Kappen, die in der
Umkleidekabine liegen, ok?"
Jelena nickte erneut.
"Und wie geht das da drin?", fragte sie etwas nervös, so dass
Marie auflachte.
"In der Vermessungskammer ist ein Laserscanner, der dich komplett
abtastet. Für alles weitere musst du die Techniker fragen, aber
du kannst mich jederzeit hören über die Gegensprechanlage.
Einfach reden, ok?"
Die Fünfzehnjährige nickte schwach und verschwand hinter dem
Vorhang der Umkleidekabine, die nur eine kleine Bank und einen
Wandspiegel enthielt. Zum Glück war sie nicht klaustrophobisch
dachte sie, denn es war ziemlich eng, doch dann zuckte sie mit
den Schultern und begann sich auszuziehen.
Sie schlüpfte aus ihren Ballerinas, legte ihr Halstuch und die
Bluse ab und dann den kurzen Rock, bis sie nur noch in ihrer
weißen Unterwäsche da stand.
Der Slip schien ihr eng genug, um den Anforderungen zu
entsprechen. Sie war sich nicht sicher bei dem BH. Es war ein
Push-up Modell, obwohl es nach Meinung ihrer Mutter eigentlich
unnötig war.
"Aber sie machen doch keine Fotos, oder?", fragte sie durch den
Vorhang, wo man Marie lachen hörte.
"Nein, du kannst ganz unbesorgt sein. Ich seh' hier nur Zahlen
und Nummern.", sagte sie, während Jelena sich mit einem auf der
Bank bereitliegenden Haargummi, die schulterlangen braunen leicht
gewellten Haare zusammenband.
Sie blickte erneut zu dem Spiegel. Nicht schlecht, dachte sie
zufrieden. Ein mittelgroßes hübsches Mädchen mit einer guten
durch leichtes Training geformten Figur schaute sie an.
Sie grinste und fuhr über ihre Kurven, von denen sie wusste,
dass sie den Jungs gefielen. Ebenso wie ihre hübschen etwa eine
handvoll großen Brüste mit den für junge pubertäre Mädchen
typischen kleinen Spitzen, die durch den BH drückten
Sie räusperte sich und entfernte den BH, so dass ihre schönen,
leicht aufwärts geschwungene Kugeln heraussprangen. Dann atmete
sie durch und schritt durch die hintere Tür, die auch wieder
dieses gelbe Biogefahrschild aufgeklebt hatte.
Sie war tief beeindruckt von dem was sie dann sah und sie fühlte
sich an einen Bericht über Körperscanner erinnert, die man in
einigen noblen Bekleidungsgeschäften probeweise installiert
hatte.
Aber das hier sah mehrere Generationen fortschrittlicher aus. Ein
kreisrunder futuristischer Raum, etwa 2,50 im Durchmesser, mit
glatten Plastikkacheln ausgekleidet und einem dicken Glasboden,
unter dem ein Haufen Elektronik und Platinen zu sehen waren. Auf
der Glasfläche zwei aufgeklebte rote Gummifußabdrücke, etwa
einen Meter auseinander.
Sie würde ganz schön aufgespreizt dastehen, dachte sie unsicher
und zuckte mit den Schultern. Dann ging sie auf die Glasplatte
und ein elektronisches Summen ertönte.
"Du musst auf die roten Abdrücke.", hörte man von irgendwo aus
einem Lautsprecher.
Das Mädchen zuckte bei Maries Stimme zusammen. Es hatte sich
angehört, als ob sie direkt neben ihr stehen würde, so klar war
sie zu hören.
"Können sie mich sehen?", fragte sie daher und legte wie
automatisch die Hände vor ihre sich entwickelnden
Mädchenbrüste.
"Nein.", sagte Marie durch den Lautsprecher, "Der Computer sagt
mir nur, dass du falsch stehst. Und keine Angst, das Glas trägt
400 Kilo."
Jelena murmelte etwas zustimmendes und stellte sich ihre schönen
schlanken Beine auseinanderspreizend auf die roten Fußfelder.
Diesmal kam ein elektronisches Piepen.
"Die Arme weit zu den blauen Hand-Markierungen ausstrecken.",
sagte eine weibliche Computerstimme, "Und zu dem grünen Kreuz
blicken."
Die Schülerin war etwas beschämt, wie entblößt sie da stand,
folgte aber den Anweisungen.
"Körper durchstrecken."
Jelena gehorchte.
"Einatmen und Augen schließen."
Das Mädchen zögerte kurz und die Stimme wiederholte sich.
"Augen schließen."
Sie machte die Augen zu.
"Nicht bewegen." sagte die Computerstimme mehrmals, als auf
einmal ein metallisches dumpfes Klacken erklang, "Vorgang
eingeleitet."
Es war ein unangenehmes Gefühl, so nackt und ohne zu sehen zu
stehen, aber nach vielleicht einer halben Minute war es bereits
vorbei und man hörte, wie das Klacken erstarb.
"Fertig, Jelena.", hörte man Marie sagen, "Du kannst dich jetzt
anziehen."
Jelena zuckte mit den Schultern und ging zurück in die
Umkleidekabine. Als mit dem Ankleiden fertig war, fand sie jedoch
zu ihrer Überraschung im Computerraum neben Marie eine weitere
Person, ein vielleicht siebzehn-, achtzehnjähriges Mädchen in
einer tadellos sitzenden Schuluniform vor, die sie emotionslos
anschaute.
Sie war beinah irritierend hübsch und Jelena fragte sich mit
einem leichten Minderwertigkeitsgefühl, ob hier jeder so
attraktiv war.
"Das ist Ernestine.", sagte Marie derweil, "Jeder Neue bekommt
zur Orientierung einen Tutor aus einem der höheren Jahrgänge,
der auf ihn aufpasst."
"Hallo Jelena.", sagte das andere Mädchen und blickte dann zu
dem Flachbildschirm an der Wand, der jetzt endlose Zahlenkolonnen
ausgab.
Völlig unverständlich, dachte Jelena, doch am Ende wurde es
etwas klarer und plötzlich stoppte die Ausgabe.
"Ah.", sagte Marie, "da haben wir's. Größe 1,65 m,
Unterbrustumfang 72 cm, Brustumfang 86, macht einen 70B Cup,
Taille 70, sehr schön, Hüfte 88 cm und Gewicht 55 kg."
Es war der fünfzehnjährigen etwas peinlich, wie Marie ihre
Daten vor der anderen so einfach herunterspulte, doch sie sagte
nichts. Sie musste im Sommer zwei Kilo zugenommen haben, doch zum
Glück sah sie gut dabei aus.
"Hm.", machte sie und schaute unsicher zu Ernestine, die nur
herablassend mit den Schultern zuckte und zu Marie sah.
"Deine Daten gehen gleich zur Schneiderei.", sagte diese, doch
bevor Jelena fragen konnte, was das hieß, ertönte plötzlich
ein elektrisches Summen hinter ihnen.
Es kam von dem grauen Kasten und Marie lächelte.
"Das ist dein Band und die Karte.", sagte sie und öffnete eine
Klappe an dem grauen Kasten.
Sie holte, neugierig von Jelena betrachtet ein langes grünes
Band, ein kleines grünes Armband mit einer Art Aluminiumschelle,
wie bei einem Vogelring und eine weiße Plastikkarte hervor.
"Sehr schön.", grinste Ernestine und schaute gelangweilt auf den
Flachbildschirm, wo jetzt eine Großaufnahme von Jelenas Gesicht
auf einer Art Ausweis zu sehen war. Ihr Name, Geburtsdatum und
einige Zahlen standen darauf und sie begriff, dass es eine
Abbildung der Chipkarte war.
Sie war jedoch erstaunt, dass sie auf dem Bild bereits eine blaue
Schuluniform und ein grünes Halstuch trug. Offenbar retuschiert,
dachte sie und erinnerte sich daran, dass das weinende Mädchen
ein gelbes Halstuch getragen hatte,während Ernestine ein
orangenes trug und Marie ein weißes.
"Haben die Farben was zu bedeuten?", fragte Jelena daher und
schaute zwischen den beiden hin under
Ernestine verdrehte nur die Augen, als ob sie etwas völig
bescheuertes gefragt hätte, doch Marie lächelte.
"Grün ist für neue, dann kommt gelb, dann orange und
schließlich braun. Verwaltung hat weiß und es gibt noch einige
weitere Farben, die aber nur in Sonderfällen vergeben werden."
Jelena fragte sich was das war, doch sie unterließ es zu fragen,
da Marie sie jetzt bat, ihren Arm auszustrecken.
"Warum?", fragte sie, doch die junge Frau hatte ihr bereits das
kleine grüne etwa einen Zentimeter breite Band um das Handgelenk
geclipt.
Es sah aus, wie eines dieser Armbänder, die man im Schwimmhalle
für den Schlüssel bekam, dachte sie und schaute auf den
Aluminiumclip. Er wirkte nicht, als ob man ihn so leicht lösen
konnte, doch Marie hängte ihr bereits das lange grüne Band mit
der Chipkarte um den Hals.
"Bitteschön.", sagte die ältere und grinste, "Nicht verlieren,
den brauchst du als Schlüssel, um überall rein und
rauszukommen."
Das hatte sie also vorhin mit hochtechnisiert gemeint, dachte
Jelena beeindruckt, obwohl ihr das glanze gleichzeitig etwas
unheimlich war.
"Wozu das Armband?", fragte sie einsilbig.
Marie lachte.
"Die Schüler verlieren immer ihre Kennkarten.", sagte sie, "Da
haben wir die Armbänder als Notlösung eingeführt. Sie haben
eine etwas eingeschränkte Funktionalität, aber sie
funktionieren sonst genauso, wie die Kennkarte bei Türen.
Einfach vor die runden Metallfelder in der Wand halten."
Jelena nickte noch mehr beeindruckt. Automatische Türen. Sie
begriff jetzt auch, wozu diese runden etwa handflächengroßen
polierten Metallflächer neben den Türen waren und wieso es hier
außer an den Haupttüren keine Schlüssellöcher gab.
"Und?", meldete sich da Ernestine und man sah an ihrem
Gesichtsausdruck, dass sie los wollte.
Marie nickte.
"Wir sind dann hier fertig.", sagte sie und griff nach Jelenas
Rucksack auf dem Boden, "Hier. Ernestine bringt dich jetzt zur
Schneiderei und dann in dein Quartier, wo du duschen und deine
Mitschüler und Mitbewohnerin kennenlernen kannst. Wenn du Fragen
hast, frag Ernestine oder melde dich bei mir."
Ernestine grinste herablassend und schaute dann zur Decke,
während Marie die Tür zum Foyer hin öffnete und die beiden
hinausließ. Freundlich winkte sie den beiden hinterher und ließ
sich dann ihren Ledersessel fallen, während sie sich
genießerisch über die Lippen leckte.
Die Kleine war wirklich süß, dachte sie unbewusst tief den
aromatisch-süßlichen Geruch, den sie längst nicht mehr
wahrnahm einsaugend und fuhr sich langsam mit der Hand über den
elektrisch knisternden Stoff ihres im Schritt feuchten Rocks.
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Jelena folgte derweil Ernestine durch einen parkartigen Bereich
hinter dem Haus und hatte tausende Fragen. Aber die ältere hatte
offensichtlich nicht die leiseste Absicht, sich mit ihr zu
unterhalten und so beschränkte sich Jelena darauf die Gegend zu
betrachten.
Es war eine waldreiche hügelige Gegend und man sah am unteren
Hand des Hügels auf dessen Spitze der kleine Park lag, einen
kleinen Bach und dahinter ein weißes modernes Glas- und
Stahlgebäude durch die Kiefern schimmern.
Es sah irgendwie merkwürdig und total futuristisch aus, aber da
es inmitten des Zauns lag, musste es wohl zum Gymnasium gehören.
Der Kiesweg, auf dem sie liefen führte jedoch nicht dorthin,
sondern auf eine weitere bewaldete Anhöhe, hinter der Jelena die
restlichen Gebäude vermutete, die sie von dem Prospekt und der
Webseite kannte.
Das Quartier für die Schüler, die Schwimmhalle, auf die sie
sich besonders freute, die Cafeteria, das Schulgebäude und so
weiter. Doch Ernestine erklärte überhaupt nichts, bis Jelena es
schließlich nicht mehr aushielt und sich räusperte.
"Bist du schon lange hier?"
Aber Ernestine hatte kein Interesse an Konversation.
"Wie hießt du gleich nochmal?", fragte sie nur abrupt stehen
bleibend und funkelte das jüngere Mädchen an.
"J-jelena.", antwortete die Fünfzehnjährige kleinlaut.
"Was ist das für ein bescheuerte Name?"
Jelena zuckte beleidigt mit den Schultern.
"Meine Mutter mochte Helena und da mein Opa aus Russland kommt
und wir in Jena leben, machte sie Jelena draus.", sagte sie
trotzig und fragte sich, ob Ernestine so viel besser war.
"Hm.", machte diese derweil und sie gingen schweigend ein Stück,
als man am Fuß des Hügels jetzt Bewegung und Geräusche
bemerken konnte.
Jelena blickte neugierig hinab und sah eine Gruppe von vielleicht
zwölf-, dreizehnjährigen Mädchen in dunkelblauen engen
Radlershorts und weißen knappen Poloshirts in Zweierreihen
erstaunlich schnell und geordnet einen Waldpfad entlangrennen.
Sollte das etwas die Sportkleidung sein, fragte sie sich und
schüttelte leise den Kopf, als sie bei den meisten Mädchen die
im Laufrhythmus schwingenden Brüste durch die körperengen
Shirts drücken sah. Für Zwölf, Dreizehn hatten einige,
eigentlich alle, ziemlich große Brüste, kaum eine weniger als
B-Cups und sie versuchte sich zu erinnern, wie sie mit mit
Dreizehn ausgesehen hatte. Sicherlich nicht so.
"Wer sind die?", versuchte Jelena erneut ein Gespräch
anzufangen, doch Ernestine unterbrach sie.
"Hör zu ...", sagte sie sauer und griff nach Jelenas Kennkarte,
"Mississ Jelena Coralie Tralala was auch immer, ich bin nicht
hier, um für dich den Scheißbabysitter zu spielen und ich will
auch nicht deine allerbeste Freundin sein, also nerv mich nicht,
ok?"
Jelena verzog das Gesicht und ein wehmütiger Ausruck zog
ungewollt über ihr Antlitz, so dass Ernestine sich doch zu einer
Erklärung aufschwang.
"Das sind die Unterstufen.", erklärte sie rau und zeigte auf den
etwa 800 Meter entfernten futuristischen Glas-, Stahl- und
Betonbau unterhalb des Baches, "Sie sind in dem neuen Gebäude da
unten untergebracht und wir haben nicht viel mit ihnen zu tun,
bis zur Zehnten. Dann zieht man um in das alte Gebäude, wo wir
sind. Also schlag sie dir aus dem Kopf."
Sie beschleunigte ihren Schritt, so dass die verwirrte Jelena
nicht fragen konnte, was die ältere mit dieser Bemerkung gemeint
hatte.
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Die Schneiderei, von der Marie gesprochen hatte lag in einem
kleinen Haus, dass in seinem Stil dem Gebäude der Unterstufen
entsprach. Mit seiner kalten Glas und Stahlbauweise sah es daher
überhaupt nicht so aus, wie Jelena sich eine Schneiderei
vorstellte und auch im Inneren wirkte das menschenleere Gebäude
karg und abweisend.
Das einzig angenehme war diese leicht süßlich-aromatisch
Geruch, den Jelena beim Betreten des Gebäudes wahrgenommen zu
haben glaubte. Sie überlegte, ob es eine Art Raumlufterfrischer
war, der hier anscheinend flächendeckend verwendet wurde, aber
bevor sie den Geruch genauer identifizieren konnte, war er
bereits nicht mehr wahrnehmbar und Jelena vergaß das Ganze.
Ernestine steuerte derweil unbeeindruckt auf einen großen Tresen
zu, ähnlich dem im Foyer des Verwaltungsgebäudes, nur dass hier
niemand dahinter saß. Irritiert blickte Jelena zu Ernestine, die
jedoch nur grinste und auf eine Tür in der einfachen Betonwand
deutete.
"Deine Karte.", sagte sie und schaute genervt.
Jelena stutzte einen Augenblick, begriff aber dann und nahm ihre
Karte in die Hand und ging zu der Tür, wo sie die Karte vor
eines dieser handflächengroßen polierten runden Metallfelder
hielt.
Es gab ein elektronisches Piepen und die Tür schwang mit einem
Zischen auf.
"Eintreten.", sagte eine Computerstimme, während in dem Raum
eine Lampe ansprang und alles in ein orangenes warmes Licht
tauchte.
Es war wie vorhin nicht wirklich hell, aber ausreichend, um alles
zu erkennen. Ein kleiner Lagerraum mit langen Reihen von
Stahlfächern wie bei einer Leichenhalle. Es war etwas
furchteinflößend, aber Jelena machte ein cooles Gesicht und
folgte Ernestine zu einem Fach, dass nicht wie die anderen aussah
und sich als Flachbildschirm mit Touchscreen entpuppte.
Ernestine tippte grob mit der Hand dagegen und schaute
vorwurfsvoll zu dem runden Metallfeld, während der Bildschirm
grün aufleuchtete.
"Entschuldigung.", sagte Jelena leise und hielt die Chipkarte vor
das Metallfeld.
Auf dem Bildschirm leuchtete ihr Name auf und wieder diese
typischen Zahlenkolonnen. Dann wurde eine Reihe von
Kleidungsstücken angezeigt und dahinter die Anzahl.
"Dein Zeug.", sagte Ernestine zynisch und zeigte auf eine Klappe,
die im Hintergrund zischend aufging, "Frisch aus der Retorte."
Eine Platte kam aus der Öffnung herausgefahren und darauf
mehrere Pakete.
"Ist da auch so ein Jacket drin?"
Ernestine verdrehte die Augen.
"Standardjacket, Halstuch, unser geiler Standardrock,
Standardstrümpfe.", ätzte sie und grinste, "Badeanzug,
Sportzeug ..."
"Etwa diese Radlerhosen?", fragte Jelena kritisch, die sich an
die Achklässler erinnerte, die sie auf dem Weg gesehen hatten.
Sie war nicht prüde, aber diese knappen Dinger gefielen ihr gar
nicht.
"Jepp ... BH, Höschen ..."
"Was?!"
Ernestine grinste.
"Ja, aber du kannst eigene nehmen, wenn sie nicht gegen die
Vorschriften verstoßen?"
"Vorschriften?!", fragte Jelena entsetzt, während die ältere
nur den Kopf schüttelte.
"Sag mal, hast du dir mal die Schulverträge durchgelesen?! Da
steht doch alles drin."
Jelena hatte sich natürlich nicht alles durchgelesen, aber
darauf vertraut, dass ihre Eltern das getan hatten.
"Meine Eltern.", sagte sie kläglich.
"Dann werden sie's auch gelesen haben und einverstanden sein.
Oder denkst du, dass deine Eltern jedes mal Lust darauf haben,
von der Schule angerufen werden, wenn du eine Spritze kriegst
oder dir eine Windel wechseln musst?"
"N-nein, aber ..."
"Na dann jammer nicht, das läuft hier bei uns allen so und davon
abgesehen, das Zeug ist gut, sitzt wirklich einwandfrei.
Wahrscheinlich wirst du irgendwann sogar mehr davon wollen."
Jelena seufzte auf und musterte die andere aus dem Blickwinkel.
Das dunkelblaue enge taillierte Schuljacket mit der weißen Bluse
mit weitem V-Kragen darunter. Das orangene gedrehte Halstuch.
Es sah nicht schlecht aus, ebensowenig, wie der farblich zum
Oberteil passende knielange Rock und die schwarzen Kniestrümpfe.
"Aber damit sieht man aus, wie aus einem Manga.", sagte sie.
Ernestine lachte auf.
"Quatsch.", sagte sie und schüttelte den Kopf, "Hast du dir mal
japanische Schuluniformen angesehen? Die sehen aus wie
Matrosenuniformen. Wie auch immer, schnapp dir jetzt dein Zeug.
Du hast mich schon genug Zeit gekostet."
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2. Quartier

Jelena hatte etwas Mühe, die Kartons mit der Kleidung die Treppe
hinauf zu balancieren, aber sie hatte keine Lust gehabt,
Ernestine zu bitten, ihr zu helfen, wo diese sich schon die ganze
Zeit über ihre Lahmarschigkeit beschwert hatte.
Und selbst auf dem Weg von der Schneiderei bis zu dem großen
dreistöckigen Gebäude, in dem die Quartiere der Oberstufe
untergebracht waren, hatte sie nur zwei kleine Kartons mit
deutlichem Widerwillen getragen.
Sie war jedenfalls froh, als die Ältere nach dem sie sie vor dem
Hauseingang abgesetzt hatte, in Richtung der Cafeteria, über der
sich irgendwelche Freizeiträume befinden sollten, abgezogen war.
Jelena hat daher zwei unten im Hausflur ungeniert küssende
Mädchen gefragt, wo ihr Raum war, doch die beiden hatten sie nur
deutlich gestört an den Pförtner verwiesen, der jedoch nicht
dagewesen war.
Sie hatte daher beschlossen, selbst in die dritte Etage zu gehen,
wo nach Auskunft des einen Mädchens die Zimmer der
Zehntklässler und ein Lehrerzimmer am Ende des Ganges waren.
Oben angekommen stand sie in der Mitte eines nach beiden Seiten
etwa zwanzig Meter abgehenden Flurs mit vielen Holztüren an den
Seiten. Und sie sah zum ersten Mal eine größere Anzahl von
Schülern, worunter sie zum ersten Mal auch zwei Jungs sah. Ihr
stand nicht wirklich der Sinn nach Flirten, aber sie hatte es
schon seltsam gefunden, dass sie bis jetzt nur Frauen oder
Mädchen gesehen hatte.
Sie standen in ihren Schuluniformen vor einem Raum, der so was
wie ein Aufenthaltsraum sein musste und lärmten. Jelena
beschloss, zu ihnen hinüberzugehen und sie zu fragen, als sich
plötzlich jemand hinter ihr räusperte.
"Noch so ein abgefucktes Asilida-Opfer.", hörte sie jemand
abfällig sagen und fuhr erschrocken herum.
Eine hübsches Mädchen mit einer roten Weste und schwarzem
Minirock in etwa ihrem Alter mit dunkelbraunen wilden
schulterlangen Locken schaute auf ihre überall mit dem
Asilida-Logo bedruckten Kartons und grinste.
"Bist du Cora?", fragte sie dann und musterte Jelena, dass diese
erst nicht wusste, was sie sagen sollte.
"Je-, also ja, aber eigentlich nennt mich jeder Jelena.", sagte
sie und starrte die andere an, "Woher ... ?"
"Weil du meine Mitbewohnerin bist. Deine Reisetaschen sind schon
da und verstopfen den Gang.", lachte sie und schnappte sich die
obersten Kartons, bevor Jelena reagieren konnte, "Na komm."
"Danke.", presste Jelena heraus und beeilte sich, der anderen
hinterherzugehen, wobei ihr auffiel, dass das Mädchen als
einzige außer ihr keine Schuluniform trug.
"Keine Ursache.", sagte die andere und grinste, "Ich bin
übrigens Alexandra, aber wenn du mich etwas anderes nennst als
Alex, töte ich dich."
"Ok." sagte Jelena und nickte, etwas eingeschüchtert von der
offenen und lockeren Art der anderen.
Diese lachte und blickte zu einer Tür vor Ihnen, während sie
mit ihrer rechten Hand umständlich nach ihrem Schlüsselband
kramte, dass sie offensichtlich in der Tasche ihres schwarzen
Minirocks trug.
Jelena notierte zufrieden, dass es ebenfalls grün war.
"Da ist es.", sagte Alex und deutete auf die Tür, "Wir sollen es
eigentlich immer um den Hals tragen."
"Was?"
Alexandra grinste.
"Unsere Hundeleine.", lachte sie und hielt ihre Kennkarte
grinsend vor das Metallfeld, über der man ein Namenschild sah,
woraufhin die Kiefernholztür entriegelte und sich aufstoßen
ließ, "Willkommen in meinem Zimmer."
Jelena blickte kurz auf das Namenschild. Ihr voller Name stand
darauf und daneben der ihrer Mitbewohnerin, Alexandra Schiller.
Dahinter jeweil ein paar merkwürdige Nummern HJCB-991208-37601
bei ihr und ASB-960919-37301. Wie bei einem Ausweis, dachte sie
bis sie kapierte, dass die Zahl tatsächlich so aussah, wie der
Zeichencode auf Chipkarte. Sie zuckte mit den Schultern und
folgte Alex hinein in das Zimmer.
Das Zimmer war nicht besonders stark möbliert, aber mit zwei
Betten, das linke davon mit ihren Reisetaschen bedeckt, zwei
Nachttischchen und jeweils zwei Kleiderschränken geschmackvoll
und ausreichend ausgestattet. Alles schön in hellem Holz, doch
irgendwie ziemlich eng.
Die mit lachsrosafarbenen Bezügen bespannten Betten sahen aus,
als wenn sie kaum einen Meter auseinanderstanden. Jelena hatte
noch nie so dicht bei jemand anderem geschlafen und Alex, die
jetzt hinter ihr die Tür geschlossen hatte, schien ihre Gedanken
zu ahnen.
"Bisschen eng, was?", fragte sie und ließ sich auf einen
gepolsterten Stuhl an einem Tisch neben der glänzenden mit
breiten Streifen gemusterten Zimmerwand fallen, "Aber sieh's mal
positiv. Wenn ich schnarche, kannst du mir einen Tritt geben."
Jelena grinste.
"Ich hab' einen tiefen Schlaf.", sagte sie, als ihr plötzlich
auffiel, dass die glänzende Wand gar keine Wand war, "W-was ...
ist das denn?"
Es war eine riesige nur in der Mitte unterbroche Glasscheibe,
welche sonst die gesamte linke Seite des Zimmers einnahm und die
Querstreifen waren aufgeraute Stellen, so dass es einen
Milchglaseffekt gab.
"Das ist das Bad.", sagte Alex nur und zuckte mit den Schultern,
während Jelena schluckte.
Sie stellte die Kartons auf das Bett und trat durch die Lücke in
der Glaswand in den komplett gekachelten Nassbereich. Sofort
sprang eine dieser hier überall vorhandenen komisch geformten
Lampen an und spendete orangenes Licht.
Und tatsächlich, am linken Ende des schmalen Bereichs waren eine
Duschkabine und rechts eine merkwürdig geformte Toilette. Direkt
vor ihr war ein Waschbecken mit einigen Waschutensilien, die
offenbar Alex gehörten.
"W-wo ... wo ist denn die Tür?", entfuhr es Jelena entsetzt und
sie blickte durch die Glasscheibe nach draußen, wo sie Alex sah,
die zu ihr blickte, "Da kann man ja alles sehen."
Ihre Mitbewohnerin grinste und stand auf, um zu ihr
hereinzukommen.
"Tja, ist alles etwas gewöhnungsbedürftig, oder?"
"Aber hier ist ja nicht mal 'ne Tür!"
"Ja, aber das ist bei allen so und man gewöhnt sich irgendwie
dran."
Jelena verstand ihre Mitbewohnerin nicht, wie sie sich so leicht
damit abfinden konnte.
"Das stinkt doch.", sagte sie und blickte instinktiv durch die
Scheibe in den Schlaf und Wohnbereich, wo man im Hintergrund das
Fenster sah.
Doch Alex zuckte nur mit den Schultern.
"Du wirst dich daran gewöhnen müssen.". sagte sie, "So wie alle
hier."
Jelena hatte nicht wirklich Lust darauf und schritt aus dem
Nassbereich heraus. Sie drehte sich um und man sah, von den nur
die Silhouetten zeigenden Querstreifen abgesehen alles.
"Ich weiß nicht.", sagte sie dann und ging zu ihrem Bett, wo ihr
jetzt schmerzlich bewusst war, dass es direkt neben der Dusche
lag.
Sie setzte sich neben die Reisetaschen und die Kartons. Alex, die
ihr aus dem Bad gefolgt war, setzte sich ihr gegenüber auf ihr
Bett.
"Mach dir nicht so einen Kopf. Es wird dir hier schon gefallen.
Aber du solltest jetzt deine Sachen anprobieren. Es gibt um
Zwölf die Eröffnungsrede und du willst vorher vielleicht noch
mit Frau Jansen reden."
Jelena wusste durch die Korrespondenz ihrer Mutter mit der
Schule, dass Frau Jansen die verantwortliche Lehrerin für die
Schüler der Klassenstufe 10 war, aber sie hatte im Moment nicht
wirklich Lust sie zu sehen.
Trotzdem nickte sie und begann, die Kartons neben sich zu öffnen
und den Inhalt auf dem Bett auszubreiten.
"Wie lang bist du eigentlich hier?", fragte sie und begann sich
auszuziehen, "Du hast ja auch noch so ein grünes Band."
Alex lachte.
"Schon die ganzen Ferien.", sagte sie dann etwas ernster und
zuckte mit den Schultern.
"Warum nicht zu Hause?", fragte Jelena und hielt kurz inne, als
sie merkte, dass sie jetzt nur in Unterwäsche vor ihrer
Mitbewohnerin stand.
Alex wurde kurz still.
"Es gibt eigentlich sowas wie ein Zuhause nicht.", sagte sie,
"Meine Mutter ist gestorben als ich Dreizehn war und mein Dad hat
das irgendwie nie verwunden. Zwei Jahre ist das jetzt her Er hat
seitdem nur seine Arbeit, er ist Vertreter, und seinen Alkohol.
Und irgendwann waren wir der Meinung, das wir das hier machen."
Jelena war betroffen und wollte nichts dummes sagen.
"Tut mir Leid", sagte sie daher nur und legte ihren BH ab, so
dass ihre schönen Brüste heraussprangen, "Du bist auch
Fünfzehn?"
"Ja. Wann hast du Geburtstag?"
"Am 8. Dezember.", antwortete Jelena und probierte den Asilida-BH
an, "Und du?"
"Am 19. September.", sagte Alex und lachte, "Dann bin ich
Zimmerälteste und darf entscheiden."
Jelena drehte sich um und streckte ihr die Zunge raus.
"Wahrscheinlich auch Klassenälteste, was?", fragte sie
spöttisch, wobei ihr auffiel, wie perfekt der BH saß.
Man spürte ihn nämlich überhaupt nicht, dachte sie anerkennend
und griff nach dem dunkelblauen Schulrock.
"Kann schon sein, aber ich hab gehört, dass die Klassen ganz
schön durchmischt sind."
"Ja?", fragte Jelena und zog den Rock, der zwar eng war, aber
ebenfalls perfekt saß.
"Ja, die haben hier ein Punktesystem, was sich mehr am
tatsächlichen Leistungsstand, als einfach nur am Alter
orientiert."
"Komisch.", entfuhr es Jelena und sie fuhr fort, sich
anzukleiden, wobei sie mitkriegte, dass in alle Kleidungsstücke
eine Zahlenkombination in der Art von
ZZ0000P0012-HJCB-991208-37601 mit ihrer persönlichen ID-Nummer
eingenäht war.
"Keine Ahnung.", sagte Alex derweil und zuckte mit den Schultern,
"Es scheint ganz gut zu funktionieren. Wir haben sogar eine
Hochbegabte, die ist erst Dreizehn."
"Echt?"
"Ja, Kaja Ecker oder so.", sagte Alex und Jelena fiel ein, dass
sie den Namen kannte.
"Vielleicht Eckert? So eine niedliche zarte Blonde?", fragte sie
und dachte an das weinende Mädchen im Foyer.
"Weiß ich nicht, ich kenn' hier auch kaum jemand von diesen
Freaks. Ich hab's nur gehört."
Jelena nickte abwesend und stopfte sich die weiße Bluse unter
den Rock, während sie Alex einen Moment nur schweigend musterte.
"Sieht richtig gut aus.", sagte sie dann und grinste, "Scheiße
angepasst, aber auch scheiße gut."
Jelena grinste.
"Und sitzt auch gut, muss ich echt sagen."
"Na bitte.", sagte Alex, als plötzlich flackerndes Licht hinter
ihr anging.
Sie drehte sich irritiert um und sah das Bild einer moderat
attraktiven dunkelhaarigen Frau in ihren Vierzigern, dass
offenbar von irgendwo her auf die Glaswand neben Jelenas Bett
projeziert wurde.
"Hallo.", sagte die Frau freundlich, "Du bist Jelena Herrmann,
nicht wahr?"
Die angesprochene nickte, erstaunt über die krasse Technologie,
mit der die Lehrerin so plötzlich in ihr Zimmer getreten war.
"Hallo Frau Jansen.", sagte derweil Alex mit offensichtlich
gespielter Freundlichkeit und man sah, wie das Gesicht der Frau
einen genervten Ausdruck bekam.
"Alexandra.", sagte sie deutlich mißgestimmt, "Warum hast du
deine Schuluniform nicht an? Direktor Brandt hält in einer
halben Stunde seine Eröffnungsrede und du hast schon eine
Verwarnung. Also mach dich jetzt fertig. Und du kommst bitte noch
einmal in mein Büro. Zimmer 323."
Jelena nickte instinktiv, doch der Bildschirm war bereits
erloschen und nichts erinnerte mehr an das Gespräch, so dass sie
automatisch zur Decke schaute, wo neben der komisch geformten
sanft orange leuchtenden Lampe ein kleiner silberner Zylinder
war, der ihrer Meinung nach der Beamer war.
"Wow.", sagte sie leise, "Die sind technisch echt auf dem
neuesten Stand."
Alex grinste.
"Das war noch gar nichts, Hübsche.", sagte sie und stand auf, um
ihre rote Weste abzuwerfen, "Du kommst dir hier vor wie auf der
Enterprise."
"Hm.", machte Jelena und zog sich das Jacket an, "Was meinte sie
mit Verwarnung? Hast du hier Ärger?"
"Ich hab schon wieder 'nen paar Punkte gekriegt, aber die Jansen
übertreibt. Die mögen hier nur keine Individualisten wie mich."
"Ok?"
Alex verstand nicht recht und zuckte mit den Schultern
"Ich mach' halt nicht gern, was man mir vorschreibt und hier
schreiben sie dir viel vor.", sagte sie und seufzte, "Aber du
solltest jetzt zu unserem sanften Monster gehen. Und sorg' bloß
dafür, dass deine Uniform richtig sitzt oder sie kriegt einen
Herzinfarkt"
Sie lachte und griff nach Jelenas grünem Halstuch auf dem Bett
und half ihr, es anzulegen, bevor sie sich wieder sich selbst
widmete.
Jelena bedankte sich und zog sich noch schnell die schwarzen
Strümpfe und Schuhe an, die ebenso wie alles andere hervorragend
saßen und kaum am Körper zu spüren waren, obwohl sie wusste,
dass die Sachen unheimlich körperbetont geschnitten waren.
Dann schnappte sie sich das lange grüne Band mit der Kennkarte
und ging zügig aus dem Zimmer, wo ihr auf dem Flur jetzt etwas
mehr Mädchen in blauen Schuluniformen begegneten, die sie
neugierig anstarrten.
Sie registrierte dabei, dass die meisten gelbe Halsbänder zu
tragen schienen und fühlte sich etwas minderwertig, obwohl sie
von ein oder zweien auch das Gefühl hatte, dass sie sie vom
Fernsehen wiedererkannten.
Doch niemand sagte etwas und sie ging weiter an der gruppe in
Richtung des Lehrerzimmers, als ihr plötzlich noch einmal das
Bild von Frau Jansen vor Augen hatte.
Und diesmal schrak sie zusammen, denn sie begriff, dass wenn sie
die Lehrerin sah, diese sie auch sehen musste. Irgendwo in dem
Zimmer war eine Kamera.
___________________________________


Das Gespräch mit Frau Jansen war kurz gewesen und die Sache mit
der Kamera hatte Jelena natürlich nicht angesprochen. Die
Lehrerin hatte sich statt dessen kurz vorgestellt und Jelena
willkommen geheißen, obwohl das Mädchen die ganze Zeit das
Gefühl gehabt hatte, dass sie nicht recht wusste, was sie mit
ihr anstellen sollte.
Denn von dem wenigen, was die Lehrerin sagte war eines klar. Dass
es offenbar ein Fehler gewesen war, dass dieses Jahr überhaupt
Schüler zugelassen worden waren, da dies normalerweise nur alle
zwei Jahre geschehen würde.
Anscheinend hatte jemand also eine Fehlentscheidung getroffen,
aber auf ihre ängstliche Frage hin, ob sie jetzt wieder weg
müsste, hatte die Frau nur gelacht und gesagt, dass es kein
Problem wäre.
Irritiert war Jelena trotzdem deswegen und zu allem Überfluß
hatte sie Frau Jansen erst zehn vor Zwölf mit ein paar Flyern
herausgelassen, so dass sie Alex nicht mehr aufgefunden hatte und
stattdessen gleich mit ihrem Schwimmzeug zur Turnhalle gegangen
war, wohin jetzt eine erstaunliche Anzahl von Schülern aller
Altersstufen aus allen Richtungen strömten.
Und alle trugen die gleiche blaue Schuluniform, wie Jelena es
sonst nur aus dem Fernsehen kannte. Wie in einem Ameisenstaat,
dachte sie und verzog etwas den Mund. Denn sie sah leider
niemanden, der sonst ein grünes Halstuch trug.
Und da sie auch sonst niemanden kannte, ließ sie sich von dem
Strom mittreiben, bis sie irgendwann in der großen modernen
Turnhalle angekommen war, die auch als Aula genutzt wurde und
jetzt mit hunderten perfekt ausgerichteten Stühlen vollgestellt
war.
Für eine Sekunde hatte Jelena sogar die Befürchtung, dass die
Stühle nummeriert waren, doch dem war nicht so und so suchte sie
sich eine der hinteren Reihen neben der jetzt eingefahrenen
Zuschauertribüne aus, wo sie sich mit einem kurzen Gruß neben
eine hübsche braunhaarige in etwa ihrem Alter setzte, die
grinsend die Bemühungen einer Cheerleader-Truppe verfolgte.
Das Mädchen schaute zu ihr.
"Hi Jelena.", sagte sie dann nache einem kurzen Blick auf ihr
grünes Halstuch und Schlüsselband, "Erstie?"
Die Angesprochene schaute verblüfft.
"H-hi ... kennen wir uns?", fragte Jelena, da sie nicht glaubte,
das die andere sie vom Fernsehen kannte.
"Steht doch da.", sagte die andere und zeigte lachend auf Jelenas
Brust, "Ich bin übrigens Viktoria. Vicky oder Vi reicht aber
auch."
Sie tippte sich an die Brust und jetzt begriff Jelena auch. Unter
dem Asilida-Logo war in goldgelben Buchstaben ihr Name und etwas
kleiner sogar ihre Nummer eingestickt und sie fragte sich, warum
es ihr nicht schon eher aufgefallen war.
"Oh.", sagte sie und musterte die andere, "Das hab' ich noch gar
nicht gesehen."
"Gibt viel zu lernen am Anfang.", sagte Vicky und nickte, "Ich
wusste gar nicht, dass dieses Jahr aufgenommen wird."
"War anscheinend 'ne Sonderregelung.", gab Jelena grinsend
zurück und zuckte mit den Schultern, "Bringt jetzt wohl die
ganzen Farbcodes durcheinander. Und ich hab die schon wieder
vergessen."
Vicky lachte.
"Es hat zwar nur indirekt was mit den Klassen zu tun, weil eher
das Punktesystem enscheidend ist, doch merk' dir einfach Grün
für neue, Gelb nach ungefähr einem halben Jahr, dann orange und
schlußendlich braun.", sagte sie schnell und deulich, "Nicht
weiter schlimm oder? Ich frag' mich nur, warum sie die Farben
nicht jedes Jahr ändern. So ist es doch Verschwendung."
Jelena war etwas verblüfft wie schnell und strukturiert die
Braunhaarige ihre Gedanken formuliert hatte. Sie richtete ihre
Aufmerksamkeit etwas eingeschüchtert wieder auf die
Cheerleadergruppe, die um das Podium mit einem Mikrofonpult herum
ihre Darbietungen für das Publikum in der jetzt etwa zu zwei
Dritteln vollen Turnhalle aufführten.
Mehrere extrem hübsche und knapp in noch kürzere Versionen der
Schuluniform gehüllte supersportliche Mädchen zwischen
vielleicht sechzehn und zwanzig Jahre wirbelten in
beeindruckenden Pirouetten über ds Podium und Jelena fühlte
sich erneut ein wenig minderwertig.
Ihre Nachbarin musterte sie derweil, als sie plötzlich grinste.
"Du bist doch diese Zicke Miriam aus Schloss Einstein, oder?"
Jelena zögerte einen Moment. Sie war schon öfter erkannt
worden, aber angenehm war es ihr nie gewesen, vor allem, weil sie
privat auch so ganz anders war, als ihre Rolle. Davon abgesehen,
war das ein Jahr her und sie hatte jetzt auch einen ganz anderen
Stil.
Sie räusperte sich und nickte dann.
"Gute Augen.", sagte sie und errötete etwas, worauf die andere
triumphierend lachte.
"Wusste ich doch.", sagte sie, "Ich hab ein eidetisches
Gedächtnis."
"Ei-n was?"
Vicky lachte.
"Dass heißt, dass ich mir im Prinzip alles merke, was ich mal
gesehen habe."
"Ohh.", machte Jelena und nickte anerkennend, obwohl sie es eher
ein wenig zum Fürchten fand, "Wirklich alles?"
"Naja.", sagte Vicky, "Ich bin andererseits auch selektiv
aufmerksam. Ist also interessenabhängig."
Sie grinste erneut und schaute zu ein paar Jungs, die ein paar
Reihen vor ihnen Platz nahmen. Es gab also doch noch welche,
dachte Jelena, richtete ihre Aufmerksamkeit aber wieder die
Cheerleadertruppe.
Für mehrere Minuten boten sie ihr Schauspiel und der Saal
füllte sich weiter, als die Mädchen schließlich Punkt Zwölf
ihre Darbietung unterbrachen und eine von ihnen, eine
durchtrainierte Blonde mit einen süßen Puppengesicht und
strahlenden blauen Augen zu dem Mikrofonpult ging.
"Achtung, Leute.", sagte sie fröhlich und strich sich niedlich
durch die schulterlangen Haare, "Würden jetzt bitte alle für
die Schulhymne aufstehen."
Der Saal gehorchte pflichtschuldigst und eine poppig klingende
Melodie erklang aus großen Lautsprechern an der Decke der
Turnhalle.
Jelena studierte derweil gelangweilt die blonde am Mikrofon,
deren blondes schönes sanft welliges Haar beim Mitsingen leicht
hin und herwogte.
Die anderen Cheerleader standen dabei um sie herum und man sah,
wie sie sich etwas an ihr orientierten.
"Wer ist sie?", flüsterte Jelena zu Vicky, deren
Gesichtsausdruck kurz etwas verächtliches bekam.
"Uähh.", machte sie nur mühselig ein Schimpfwort
unterdrückend, "Die Blonde? Das ist Lena Schneidewind aus der
13., sie ist die Vorsitzende des Schülerrats. Interessant
übrigens, dass sie's immer noch ist ... Sie war es angeblich
schon, bevor Asilida hier vor drei Jahren anfing und alles
umgekrempelt hat. Mittlerweile sind fast alle alten Lehrer weg,
wir kriegen alle zwei Jahre einen Haufen Neue, aber sie ist immer
noch da ... denk mal drüber nach. Wie auch immer, der
hyperaktive Freak da rechts neben ihr mit den dunklen langen
Haaren ist meine große Schwester Sophie, ok Halbschwester ...
sie ist Kapitän der Cheerleadertruppe, Redakteurin bei der
Schülerzeitung, Lehrerliebling, Trendgirl und Modeopfer ..."
Vickys Tonfall war deutlich negativ und man merkte gleich, dass
es zwischen den beiden nicht zum besten bestellt war. Jelena
ignorierte es und schaute zwischen beiden Schwestern hin und her.
Doch sie sahen sich nicht wirklich ähnlich.
Beide hatten lange dunkelblonde beziehungsweise bei Vicky schon
ins braune gehende Haare, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten
auch schon, wenn man davon absah, dass beide sportliche schlanke
Figuren hatten.
Es war aber hauptsächlich die Ausstrahlung, die sich
unterschied. Denn während Vicky viel ernster wirkte, sah Sophie
aus, wie ein Kind, dass zu viel Zucker gegessen hat.
Ironischerweise war es ihre jüngere Schwester, die ein leichtes
Akneproblem hatte.
Sie wollte noch etwas fragen, als es plötzlich ruhig wurde und
die Blonde wieder das Wort ergriff.
"Danke alle zusammen.", sagte sie enthusiastisch, "Es ist gut
wieder hier zu sein. Und ich weiß, dass es dieses Jahr besser
als je zuvor sein wird. Und ich bitte jetzt um einen großen
Applaus für den Grund dafür. Unser neuer Direktor, Herr Georg
Brandt!"
Sie und fast automatisch auch die gesamte Cheerleadergruppe
begannen zu schreien und zu hüpfen, während das Publikum etwas
weniger begeistert klatschte.
Ein gepflegter gut situiert wirkender Mann Ende Vierzig in einem
dunkelblauen teuren Anzug trat auf das Podium.
"Danke Lena.", sagte er energisch und lachte, "Und Guten Morgen
alle zusammen! Es ist toll, hier zu sein!"
Er machte eine Pause, um einen Schluck aus einer Wasserflasche
mit dem Asilida-Logo zu nehmen und für eine Sekunde musste
Jelena an die Serie Lost denken. Dieses Logo war hier wirklich
überall, doch der Mann sprach bereits weiter.
Und Jelena konnte nicht wirklich einen Grund dafür nennen, doch
Jelena hasste und verachtete ihn automatisch.
Er hatte so ein typisches öliges Lächeln und die Art, wie er es
nutzte erinnerte Jelena an einen schmierigen Immobilienhändler
oder einen korrupten Politiker. Sie fragte sich ernsthaft, wie er
diesen Job bekommen hatte.
Sie schaute sich angewidert um, doch sie hatte das Gefühl, dass
sie nichts registrierte außer Anerkennung, milder Langeweile
oder ...
Sie schrak zusammen und ihre blauen Augen wurden groß. Der
Anblick war so unerwartet und unpassend, dass sie verblüfft
hustete. Denn zu ihrer linken, wo die eingefahrene
Zuschauertribüne war, saß auf der untersten Stufe, zwar ganz
hinten, aber völlig im Freien ein ausnehmend schönes Mädchen
und masturbierte. Jelena war fassungslos und sie fragte sich, ob
sie etwas falsch mitgekriegt hatte.
Gegen ihren Willen starrte sie zu der etwa achtzehnjährigen,
ohne sich abwenden zu können. Aber da war kein Zweifel möglich.
Man sah deutlich, wie das Mädchen oder die junge Frau sich
rhythmisch sanft vor und zurück bewegte, so dass ihre langen
glatten braunen Haare leicht hin und her schwangen. Von Jelenas
Platz war klar zu erkennen, wie die schöne Brünette jetzt ihre
Hand noch doller ihrer Hand in den Stoff ihres Rocks über dem
Schritt presste und methodisch ihre Finger vor und
zurückbewegte.
Es war fast hypnotisch, als Jelena plötzlich merkte, dass die
Finger stoppten und die Fünfzehnjährige merkte entsetzt, dass
die junge Frau direkt zu ihr herüberschaute.
Das von sanften Wellen gerahmte engelsgleiche Gesicht der
Brünetten wirkte dabei jung und unschuldig und irgendwie musste
Jelena an den Direktor denken, der so ziemlich das Gegenteil
ausstrahlte.
Die Brünette hielt derweil Jelenas Blick wie gefangen und das
Mädchen sah, wie die andere ihren Finger erneut in ihren Schritt
presste.
Und als ob es nicht schon schlimm genug war, zog sie sich
plötzlich den blauen Schulrock weit hoch und griff mit der Hand
darunter, um ein Stück roten Stoffs, offenbar ihr Unterhöschen
hervorzuziehen.
Absolut krass, dachte Jelena nur und schluckte, bei dem was sich
hier gerade abspielte. Sie konnte es einfach nicht glauben und
registrierte panisch, dass sie nicht in der Lage, ihren Blick von
dem seltsam faszinierenden Schauspiel abzuwenden. Und so starrten
die beiden einander mit geöffneten Lippen, schockiert oder
erregt an, während die Brünette sich still weiterfingerte.
Bis ihr Körper plötzlich anspannte und sie nach einigen
Sekunden des Verharrens ihre Hand unter dem Rock hervorzog und
sich das verknitterte Kleidungsstück wieder bis zu den
ebenmäßigen Knien herabzog und dann Jelena einen Luftkuss
herüberblies.
Jelena wandte sich entsetzt ab und starrte zurück zu Direktor
Brandt.
"... und daher weiß ich auch, dass ihr uns stolz machen werdet.
Noch einmal, willkommen am Friedrich Ludwig Jahn Sportgymnasium!"
Fast sofort sprang die ganze Turnhalle auf und auch die
Cheerleader begannen zu hüpfen und gleich wieder zu vergessende
Slogans zu rufen.
"Was denkst du?", fragte derweil plötzlich Vicky, die nichts von
allem mitbekommen hatte, aber zum Glück war die Frage nur
rhetorisch, denn sie beantwortete sie gleich selbst, "Ich denke
nicht, dass sie uns hier wie eine Firma voller Angestellter
führen sollten. Wir sind Teenager, unsere kleinen Gehirne sind
noch nicht fertig und unsere winzigen Aufmerksamkeitsspannen zu
hinderlich. Sieh dir Hypergirl dort drüben an, ... ich meine,
ich denke auch, wass wir für unsere Leistung Verantwortung
zeigen sollten ... denk' nur an Aishe Davoglu ... obwohl, wie
solltest du ..."
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Der brünette Engel wartete, umgeben von einer Gruppe kichernder
Mädchen und ein paar Jungs, die ihre Aufmerksmkeit erregen
wollten an der Treppe des Ausgangs auf Jelena.
Es war offensichtlich, dass sie Teil der Schulprominenz war und
obwohl Jelena als Jungschauspielerin selbst einige Fans gehabt
hatte, war sie nie populär gewesen und beneidete die Brünette
etwas, obwohl so im Mittelpunkt zu stehen, ihr eigentlich gar
nicht zusagte.
Sie musterte unwillentlich und erkannte, dass sie ein braunes
Oberstufenhalstuch und einen entsprechende Kennkarte trug.
"Du bist neu hier?", fragte sie plötzlich, ihr Gespräch mit den
anderen unterbrechend, als Vicky und Jelena sie passierten, "Ich
würde dich gerne wiedersehen, Jelena."
Jelena schluckte nur bei soviel unerwarteter Aufmerksamkeit und
auch die Gruppe um die Brünette wurde still, so dass die
Fünfzehnjährige errötete.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, so peinlich war ihr die
unkontrollierte Aufmerksamkeit, aber die andere hatte sich
bereits abgewandt und verließ mit ihrer Entourage die Treppe und
lief Richtung der Cafeteria.
Vicky schubste Jelena derweil an die Schulter.
"Hey.", sagte sie lachend, "Woher kennst du sie?"
Jelena starrte leer zurück.
"Wen?"
Vicky verdrehte lachend die Augen.
"Na sie da.", sagte sie halb vorwurfsvoll und nickte in Richtung
der abziehenden Clique der Brünetten, "Katharina. Katharina
Wien."
"Ich ...", stammelte Jelena nur hilflos und ihre Begleiterin
fühlte sich zu einer Erklärung bemüßigt und hakte sie unter
dem Arm ein.
"Das ist Katharina Wien, die Königin des Jahn Sportgymnasiums.",
sagte sie dozierend und Jelena hinter sich herziehend, "Sie ist
das Zentrum aller sozialen Aktivitäten. Kennt alle, bewegt alle.
Das Top-Partygirl schlechthin. Ihre Mutter sitzt im Stadtrat und
im Aufsichtsrat der Schule. Sie war eine der
Hauptunterstützerinnen der Schule und manche sagen Asilida ist
hier, weil Katharina hier ist, oder besser gesagt ihre Mutter.
Wie auch immer, in Katharinas Gunst zu stehen ist wie eine
goldene Fahrkarte zur Popularität. Jedenfalls so lange, wie dir
die Wartungskosten für die Schleimer in ihrem Anhang nicht zu
hoch sind. Du bist sicher, dass ihr euch nicht schon mal begegnet
seid?"
Jelena schüttelte den Kopf.
"Nein. Und ich brauch' keine schleimigen Freunde.", sagte sie und
dachte nur, dass das erst recht für Flittchen galt, die sich in
aller Öffentlichkeit masturbierten.
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Der brünette Engel wartete, umgeben von einer Gruppe kichernder
Mädchen und ein paar Jungs, die Aufmerksmkeit erregen wollten an
der Treppe des Ausgangs.
Es war jetzt offensichtlich, dass sie Teil der Schulprominenz war
und obwohl Jelena als Jungschauspielerin selbst einige Fans
gehabt hatte, war sie nie populär gewesen und beneidete die
Brünette etwas, obwohl so im Mittelpunkt zu stehen, ihr
eigentlich gar nicht zusagte.
Sie musterte sie unwillentlich und erkannte, dass sie ein braunes
Oberstufenhalstuch und einen entsprechende Kennkarte trug.
"Du bist neu hier?", fragte sie plötzlich, ihr Gespräch mit
ihren Bewunderen unterbrechend, als Viktoria und Jelena sie
passierten, "Ich würde dich gerne wiedersehen, Jelena."
Jelena schluckte nur bei soviel unerwarteter Aufmerksamkeit und
auch die Gruppe um die Brünette wurde still, so dass die
Fünfzehnjährige errötete.
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, so peinlich war ihr die
unkontrollierte Aufmerksamkeit, aber die andere hatte sich
bereits abgewandt und verließ mit ihrer Entourage die Treppe und
lief in Richtung des kleinen Parks.
Viktoria schubste Jelena derweil an die Schulter.
"Hey.", sagte sie lachend, "Woher kennst du sie?"
Jelena starrte leer zurück.
"Wen?"
Viktoria verdrehte lachend die Augen.
"Na sie da.", sagte sie halb vorwurfsvoll und nickte in Richtung
der abziehenden Clique der Brünetten, "Katharina. Katharina
Wien."
"Ich ...", stammelte Jelena nur hilflos und ihre Begleiterin
fühlte sich zu einer Erklärung bemüßigt und hakte sie unter
dem Arm ein.
"Das ist Katharina Wien, die Königin des Jahn Sportgymnasiums.",
sagte sie dozierend und Jelena hinter sich herziehend, "Sie ist
das Zentrum aller sozialen Aktivitäten. Kennt alle, bewegt alle.
Das Top-Partygirl schlechthin. Ihre Mutter sitzt im Stadtrat und
im Aufsichtsrat der Schule. Sie war eine der
Hauptunterstützerinnen der Schule und manche sagen Asilida ist
hier, weil Katharina hier ist, oder besser gesagt ihre Mutter.
Wie auch immer, in Katharinas Gunst zu stehen ist wie eine
goldene Fahrkarte zur Popularität. Jedenfalls so lange, wie dir
die Wartungskosten für die Schleimer in ihrem Anhang nicht zu
hoch sind. Du bist sicher, dass ihr euch nicht schon mal begegnet
seid?"
Jelena schüttelte den Kopf.
"Nein. Und ich brauch' keine schleimigen Freunde.", sagte sie und
dachte nur, dass das erst recht für Flittchen galt, die es sich
in aller Öffentlichkeit selbst machten.
Viktoria nickte nur verstehend und nach einigen weiteren Minuten
Mädchensmalltalks verabschiedeten sie sich voneinander, denn
Jelenas neue Bekanntschaft war noch mit einigen Freunden
verabredet, während sie sich noch für den Schwimmkurs anmelden
wollte.
Jelena blickte ihr kurz hinterher und ging dann in die andere
Richtung. Sie war ganz froh, denn sie wollte sich noch alles in
Ruhe ansehen, bevor morgen der Unterricht losging. Und wenn dabei
niemand mitbekam, wie sie hier tolpatschig herumirrte, wie
Freunde sie oft beschrieben, um so besser.
Zuerst wollte sie dabei schauen, wo die Schwimmhalle lag und
vielleicht auch Schwimmen. Denn sie liebte Schwimmen.
Laut dem kleinen Plan auf einem der Flyer, den ihr Frau Jansen
mitgegeben hatte war das Schwimmhalle rechts neben dem
Verwaltungsgebäude, doch sie verirrte sich trotzdem, denn ein
Stacheldrahtzaun versperrte ihr den Weg, so dass sie beschloss,
durch das düstere Verwaltungsgebäude zu gehen.
Sie überlegte, ob sie Marie fragen sollte, aber das Foyer, wo
sie vor wenigen Stunden angekommen war, lag jetzt ebenso
verlassen da, wie der Tresen in der Schneiderei.
Sie ging daher weiter durch den leeren Gang, als sie in der Ferne
eine Tür halboffen stehen sah. Vielleicht war dort jemand, den
sie fragen konnte, überlegte sie und tatsächlich hörte sie
leise Stimmen.
"... Fräulein Wien.", sagte eine strenge Männerstimme, die sie
als die von Direktor Brandt erkannte, "Ich glaube nicht, dass ich
dieses Verhalten toleriereren werde."
Jelena erstarrte als sie den Namen Wien hörte. Es musste dieses
Mädchen aus der Turnhalle sein und dann hörte sie auch ihre
Stimme.
"A-aber ich ... ich hab doch nur zugehört.", kam es erstaunlich
kleinlaut für jemanden, der angeblich so weit oben in der
Hierarchie der Schule stehen sollte.
"Tatsächlich?", fragte der Direktor leise, aber so deutlich
betont, dass man ihn gerade noch verstand.
Jelena schlich jedoch neugierig noch ein Stück näher heran, so
dass sie durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Angel
hindurchsehen konnte.
"Wirklich.", sagte Katharina jetzt und Jelena sah, wie sie
nervös vor dem einen halben Kopf größeren Direktor stand, der
mit dem Hintern gegen die Tischkante eines großen Schreibtisches
gelehnt war, "Ich hab nichts gemacht."
"Sich vor 400 Schülern und Lehrern selbst zu befriedigen ist
nichts?!", zischte Brandt jetzt wütend, "Das ist völlig
inakzeptabel! Ausgerechnet du!"
Es gab einen Moment Schweigen und die junge Frau vor seinen Augen
wurde rot.
"I-ich ... es tut mir Leid.", druckste sie verlegen heraus, "Ich
weiß nicht, was über mich kam. Ich dachte, mich würde keiner
sehen."
"Du weißt verdammt gut, dass dich jemand gesehen hat!", entfuhr
es Brandt, "Die Neue hat alles mitgekriegt. Ausgerechnet eine von
denen! Ich hab' den Ausdruck in ihrem Gesicht deutlich gesehen!"
Jelena glaubte sich verhört zu haben und klammerte ihren Beutel
mit dem Schwimmzeug automatisch fester, blieb aber wo sie war.
"Die Kleine?", kam es nur etwas herablassend aus Katharinas Mund,
"Sie wird nichts sagen ... sie saß da, wie ein scheues Reh
nachts im Scheinwerferkegel."
Jelena stockte der Atem, wie gerade über sie geredet wurde. Es
klang fast so, als ob das Problem hier sie wäre und sie wich
einen Schritt zurück, dass die beiden aus ihrem Blickfeld
verschwanden, aber noch hörbar waren.
"Und wenn doch!?", fragte Brandt sauer und man hörte ein dumpfes
Klatschen und ein Ächzen, dass Jelena zusammenzucken ließ, "Der
Punkt ist, sich ... nicht ... erwischen zu lassen. Man erwartet
von dir, ein Mindestmaß an Selbstkontrolle aufzubringen. Ich
erwarte mehr von dir. Deine Mutter erwartet mehr von dir. Haben
wir uns verstanden?!"
Die große angeblich hier so weit oben stehende Katharina klang
jetzt wie ein gemaßregeltes kleines Kind.
"Ja, Herr Brandt, ich werd' mich zusammenreißen."
Doch den letzten Satz hörte Jelena schon gar nicht mehr. Sie
lief so schnell und leise wie möglich mit klopfendem Herzen,
sich immer wieder ängstlich umblickend davon, wobei sie jedoch
mit einem Mülleimer zusammenstieß, der unfassbar laut krachend
über den Flur rollte.
Jelenas Augen wurden groß und sie begann zu rennen, hin zur Tür
und hinaus, wobei sie bei einem letzten Rückblick noch Marie aus
der Tür zu dem Computerraum hinter ihrem Schreibtisch
herauskommen zu sehen glaubte.
Drinnen kam derweil Georg Brandt gefolgt von Katharina aus dem
Büro heraus. Mit düster blickenden Augen sah er über den Gang
und zu dem noch leise wackelnden Metalleimer.
"Ich dachte doch, ich hab was gehört.", sagte Katharina mit
besorgtem Blick und schaute zum Foyer, wo man jetzt ratlos
kopfschüttelnd Marie stehen sah.
"Was?! Warum hast du mir das nicht gesagt?", zischte Brandt.
"Ich dachte doch Marie ist vorne.", entfuhr es der Schülerin und
sie wollte noch etwas sagen, doch was immer es war, es erstarb in
einem Knall, als ihr der Direktor eine schallende Ohrfeige gab,
die sie gegen die Wand fliegen ließ.
"Aauahh ...", stöhnte sie auf und hielt sich die rot anlaufende
Wange, während Brandt hastig zu Marie eilte, die mit gesenktem
Kopf einfach nur da stand.
"Wo warst du?", herrschte er die junge Brünette an, doch diese
zuckte nur ängstlich mit den Schultern.
"Ich hatte mit dem Computer zu tun.", druckste sie und duckte
sich ängstlich, als ob er sie gleich schlagen würde.
"Hast du gesehen wer es war?"
Marie nickte eingeschüchtert.
"I-ich glaub die Neue."
___________________________________


3. Schwimmhalle

Jelenas Herz schlug immer noch heftig als sie wenig später
endlich an dem großen Gebäude der mitten im Wald gelegenen
Schwimmhalle ankam. Es war eine beeindruckende Stahl und
Glaskonstruktion, wie auch schon einige der anderen Gebäude und
die Fünfzehnjährige fragte sich, woher das Geld für die ganzen
Neubauten gekommen war.
Alles sah nicht viel älter aus, als ein paar Jahre, aber mehr
noch beschäftigte sie das Ereignis mit dem Direktor und dieser
Katharina. Was stimmte nicht mit dem Mann, dachte sie, doch
schließlich schob sie den Gedanken beiseite und betrat das
Gebäude.
In der Entfernung sah man einige Schüler in den dunkelblauen
Schulbadeanzügen und ziemlich gewagt knappen Slips bei den Jungs
durch eine Tür verschwinden, die offenbar zu den Becken führte.
Sie zuckte mit den Achseln und ging zu einer Art Glasbude, in der
ein Junge in Schuluniform saß, der sie interessiert anschaute.
Sie erklärte ihm was sie wollte und trug sich für den
Schwimmkurs ein. Dann wollte sie eigentlich wieder gehen, denn
der Junge hatte ihr gesagt, dass entgegen dem was sie geglaubt
hatte, doch schon Vorunterricht stattfand.
Aber als sie wieder gehen wollte, hörte sie jemand zu ihr
herüberrufen.
Sie drehte sich um und sah eine gedrungene kräftige Frau mit
harten Gesichtszügen und kurzen Haaren vor der Tür zur
eigentlichen Schwimmhalle stehen.
"Wo bleibst du?", rief sie energisch mit rauer Stimme und blickte
auf eine große Uhr an ihrem Arm, "Zuspätkommen tolerieren wir
hier nicht!"
Jelena wäre am liebsten abgehauen, doch die strenge
Enddreißigerin sah nicht aus wie jemand, mit dem man spaßen
konnte und der Gedanke, es sich hier gerade vielleicht mit ihrer
späteren Sportlehrerin zu verscherzen, gefiel ihr nicht
sonderlich.
Sie atmete durch und ging zügig zu der Frau, die daraufhin durch
die Tür in die Halle verschwand. Die mit ihrer Kennkarte zu
öffnenden Umkleidekabinenen waren direkt in einen langen
Quergang vor der Tür und es dauerte nicht lange und sie hatte
eine leere gefunden.
Sie zog die Tür zu und begann sich zu entkleiden. Als sie bis
auf die Kennkarte an dem Schlüsselband um ihren Hals nackt war,
nahm sie den zweiteiligen Badeanzug aus ihrem Beutel. Sie hatte
ihn in ihrem Zimmer nur kurz in der Hand gehalten, aber jetzt
merkte sie das erste Mal, wie eng das ebenfalls in den
Schulfarben gehaltene Höschen und Oberteil waren.
Es fühlte sich an wie eine zweite Haut, war jedoch elastisch
genug, so dass es leicht anzulegen war. Alles saß tatsächlich
wie eine zweite Haut. Absolut perfekt, wie alles, was sie bis
jetzt in der Schneiderei bekommen hatte.
Man konnte fast vergessen, dass man überhaupt etwas trug und
außerdem sah sie ihre Nippel durch den zwar blickdichten, aber
relativ dünnen Stoff hindurchdrücken.
Und genau darüber war das Schullogo und ihr Name, sowie die
olbigatorische Nummer aufgedruckt.
Die Schülerin wurde rot, aber sie wollte sich keinen Ärger
einhandeln und schlüpfte in ihre Flipflops und verließ mit
ihrem Handtuch und der Seife die Umkleidekabine.
Sie ging hinüber, wo sie die Duschkabinen ausgezeichnet sah und
nur etwas später ging sie frisch geduscht in die Schwimmhalle.
Die Halle war wirklich ein architektonisches Wunder. Ein riesiges
Becken in olympischer Größe mit kristallblauem Wasser breitete
sich vor ihr aus und Jelena konnte nicht anders als zu staunen.
Sie wusste, dass die gesamte Konstruktion nicht älter als drei
Jahre alt war und alles roch sogar neu.
Sie sah derweil eine Anzahl von Schülern in ihrem Alter, die
bereits im Wasser schwammen, während die Frau mit den strengen
Gesichtszügen an der Beckenkante stand.
"Schön, dass sie auch kommen konnten, Frau Herrmann.", sagte sie
zynisch und Jelena fragte sich, woher sie ihren Namen kannte.
"Ich ... ich hab' mich verlaufen.", entschuldigte sie sich jedoch
einfach, da sie nicht fand, dass jetzt der richtige Zeitpunkt
war, um das Mißverständnis aufzuklären.
Sie hasste Mißverständnisse.
"Wie auch immer.", sagte die Frau in ihrer rauen unangenehmen
Stimme, "Ich bin Frau Krohn, die Schwimmtrainerin. Und es ist
meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass dich in die Nähe von
Wasser begeben kannst, ohne zu ertrinken oder mich zu beschämen.
Ich gehe davon, dass du grundsätzlich schwimmen kannst, also
spring rein und schwimm ein paar Bahnen Brust. Dann sehen wir
weiter."
___________________________________


Als Trainerin Krohn sie endlich entließ, fühlte sich Jelena als
ob sie am ganzen Körper Muskelzerrungen hatte. Sie spürte
Muskeln, von denen sie gar nicht geglaubt hatte, dass sie sie
überhaupt haben würde und sie kletterte erschöpft aus dem
Wasser, um sich abzutrocknen.
Allen schien es ähnlich zugehen und kaum jemand redete, außer
wenn einige Mädchen zu den ein paar Meter entfernten Jungs
hinübergrinsten.
Es war etwas peinlich, wie die Jungs herüber schauten, doch
Jelena fühlte sich gut in dem Zweiteiler. Er war zwar elegant
geschnitten, aber nicht freizügig, so dass sie nicht das
Bedürfnis verspürte, sich ständig zu bedecken, während die
knappen Badeslips der Jungs dagegen viel deutlicher zeigten, was
einige von ihnen zwischen den Beinen hängen hatte.
Es war besser als bei den idiotischen knielangen Shortsbadehosen,
die sonst so in Mode waren, dachte die Fünfzehnjährige und
verkniff sich ein Kichern. Es war das erste Mal, dass sie sich
wirklich gut fühlte seit sie hier war.
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Nachdem Jelena wieder in ihr leeres Quartier zurückgekehrt war,
verbrachte sie einige Zeit damit, ihre Sachen einzuräumen. Die
Konstruktions des Zimmers mit dem offenen WC und Badteil, der nur
durch eine Glasscheibe abgetrennt war, irritierte sie immer noch
etwas.
Und auch die Sache mit Direktor Brandt und dieser Katharina ging
ihr nicht aus dem Kopf. Aber schließlich legte sie sich müde
vom Schwimmen geworden hin, als nach wenigen Minuten jedoch
Alexandra zurückkam.
"Hey.", sagte sie lachend und setzt sich vergnügt auf ihr Bett,
"Was hört man von dir, du bist Schauspielerin?"
Jelena drehte sich auf die Seite zu Alex und nickte schwach.
"Ist das schon Schultratsch?", fragte sie dann, doch Alex schaute
nur komisch.
"Wieso Tratsch? Das ist doch interessant, dass wir jemand wie
dich hier haben."
"Boahhh, jemand wie mich.", echote Jelena amüsiert und grinste,
"Schauspieler bei Schloss Einstein ist doch nichts besonderes."
Alex zuckte mit den Schultern und schwieg einen Moment.
"Wie ist es denn so?"
"Hm.", machte Jelena, "Es ist oft stressig wegen dem ganzen Text
lernen und so weiter, aber der Spaß am Set ist umso größer.
Hast du's mal gesehen?"
"Nein, ich fand das immer albern."
Die beiden lachten.
"Ich auch. Aber man lernt auch coole Leute kennen, wie Josefine
Preuß zum Beispiel. Die ist echt super."
"War sie auch mal Einsteinmädchen."
"Ja, am Anfang, aber ich hab' sie erst später kennengelernt.",
sagte Jelena und wurde auf einmal ernst, "Aber sag' mal, kennst
du eigentlich Katharina Wien?"
"Unser ultraangesagtes Oberpartygirl? Sie ist in der K13 und ich
kenn sie nur vom sehen. Ist auch nicht meine Kragenweite. Wieso?"
Jelena überlegte, ob sie Alex von dem Ereignis in der Turnhalle
und im Verwaltungsgebäude erzählen sollte, doch sie wollte
nicht zu genau werden.
"Wir haben uns vor der Turnhalle getroffen und ich glaub', sie
kannte mich."
"Vielleicht vom Fernsehen."
Jelena nickte. Wahrscheinlich war das die Ursache und sie fühlte
sich gleich etwas besser und schalt sich, dass sie nicht gleich
daran gedacht hatte. Sie begann zu lachen.
"Was haben wir eigentlich morgen?"
"Deutsch, Musik und Geo. Und dein Kursfach. Dienstag ist immer
Kurstag."
Jelena richtete sich auf und nickte. Deutsch und Musik waren ihre
Lieblingsfächer, aber Geo war ihr Hassfach.
"Klingt bis auf Geo ganz gut.", sagte sie nachdenklich und
blickte aus dem Fenster.
"Magst du Geo nicht?"
"Nee.", lachte Jelena, "Total nicht. Und du?"
Die andere zuckte mit den Schultern.
"Geo ist mir egal.", sagte sie, "Aber Musik mag ich und Bio und
Kunst. Ich hasse Mathe, Physik und Chemie eigentlich alle
naturwissenschaftlichen Fächer."
"Na das sind ja einige.", sagte Jelena und grinste, "Bist du dir
sicher, dass du hier richtig bist?"
"Hm, keine Ahnung. Es gibt immer genug zu essen und zu trinken.
Und seit ich hier bin, nutze ich meine Zeit sinnvoller."
"Wow, wie selbstkritisch."
Alex lachte auf und strich sich nachdenklich durch ihre langen
braunen Locken.
"Manchmal schon. Besonders wenn man hier in dieser abgefuckten
Eliteanstalt mit den ganzen verwöhnten Streberkindern abhängen
muss."
"Die machen viel, ohne dass sie es müssten, oder?"
Alex nickte.
"Ja, wieso?"
"Ich bin voll in Frau Krohns Zusatzschwimmunterricht
reingerutscht.", erzählte Jelena und grinste, "Ich dachte, dass
morgen erst alles losgeht. Mir tut jetzt noch alles weh."
Alex lachte.
"Deswegen bist du so müde.", sagte sie mitleidig, "Ich hab mich
schon gewundert. Und ja, sie kann echt fies sein, hab ich
gehört."
"Pahh.". machte Jelena demonstrativ und erinnerte sich an die
letzten Worte ihrer Mutter beim Abschied, "Wenn sie mir blöd
kommt, ruf ich meinen Anwalt an."
"Deine Mom?", fragte Alex und Jelena nickte breit grinsend.
"Jepp.", sagte sie und griff nach ihrem Handy, "Sie ist
Anwältin."
"Na viel Spaß mit dem Ding.", sagte Alex jedoch nur, "Aber die
funktionieren hier nicht."
Der Fünfzehnjährigen fiel wieder ein, was Marie beim Anmelden
gesagt hatte. Keine Handys und elektronischen Geräte.
"Wieso?", entfuhr es ihr jedoch und sie schaute auf ihr Handy,
dessen kleiner Bildschirm tatsächlich keinen Empfang anzeigte.
Sie sprang auf und lief durch das Zimmer, aber der
Verbindungsbalken zeigte weiterhin kein Netz.
"Weil sie's blocken oder so.", erklärte Alex grinsend, "Wir
sollen nicht abgelenkt werden. Steht alles in dem Flyer. Darum
gibt's Computer und Internet auch nur im Computerraum hinten oder
in den Klassenräumen."
Jelena konnte es nicht fassen. Sie hatte die Worte von Marie
nicht vergessen, aber sie hatte nicht gedacht, dass die Leute
hier so restriktiv waren und diese Regel auch tatsächlich
durchsetzten.
"Das ist doch irre.", sagte Jelena und schüttelte den Kopf, "Das
... Das können die doch nicht machen."
"Komm wieder runter, Kleines.", sagte Alex nur schulterzuckend,
"Man gewöhnt sich dran."
Jelena wollte sich nicht daran gewöhnen. Sie hatte vielleicht
nicht so viele Freunde, aber ohne eigenes Telefon zu sein,
erschien ihr unvorstellbar.
"Ja und wenn ich mal telefonieren muss?!", entfuhr es ihr.
"Dann telefonierst du eben. Die haben hier Internettelefonie
über die Computer."
"Aber ich will in Ruhe telefonieren. Wo keiner es mitkriegt!"
"Tut mir Leid.", sagte Alex, "Aber so ist das hier nun mal. Ich
meine, du kannst ja nach einer Sondergenehmigung fragen. Aber
lass sie nicht dein Handy und den MP3-Player sehen, sonst kriegst
du Strafpunkte, weil du's nicht vorne abgegeben hast."
Es wurde immer besser, dachte Jelena unglücklich und tat das
Handy in die Schublade ihres Nachttischchens. Das Frau Jansen es
vielleicht über die Kamera sehen würde, fehlte ihr gerade noch.
Und sie hatte gerade die Schublade verschlossen, als der Beamer
auf einmal tatsächlich anging und das Bild eines Mannes in
weißer Uniform auf die Glasplatte projizierte.
Nach einer anfänglichen Schrecksekunde stellte er sich lediglich
jedoch als der Chefkoch des Internats heraus, der sie nur
darüber informierte, dass es in einer Stunde Essen in der
Cafeteria geben würde.
Frustriert erhob sich Jelena von ihrem Bett, um in diesem
Computerraum zum telefonieren zu gehen. Anscheinend war das hier
heute ihr letzter freier Tag, dachte sie sauer und verschwand mit
einem ärgerlichen Seitenblick zu Alex aus dem Zimmer.
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Das Telefonat über den Computer und ein Headset mit Mikrofon mit
ihren Eltern im Computerraum war technisch gesehen problemlos
verlaufen, doch natürlich war das Gespräch nicht frei von
Spannungen geblieben.
Jelena fühlte sich hintergangen und deswegen war das Telefonat
eher als sie geplant hatte, zu Ende gewesen. Unzufrieden war sie
zurückgekehrt, wo Alex bereits auf sie wartete, um ihr
mitzuteilen, dass ein Mädchen aus der K12 eine kleine Party auf
ihrem Zimmer geben würde.
Alex hatte nicht vorgehabt mitzugehen und sich lieber noch durch
die Flyer von Frau Jansen mit den Schulregeln arbeiten wollen,
doch Alex hatte darauf bestanden, dass Jelena sich nicht zum
Außenseiter machte.
So war sie schließlich mitgegangen und da sie Mädchenabende,
rumalbern und Süßigkeiten eigentlich auch mochte war es
tatsächlich ganz nett gewesen.
Es hatte sich auch herumgesprochen, dass sie Schauspielerin bei
Schloß Einstein gewesen war und obwohl die meisten die Serie nie
gesehen hatten und nur ein Mädchen sie tatsächlich dort erkannt
hatte, fanden es alle irgendwie cool und Jelena musste viel
erzählen.
Aber irgendwann wurde es ihr dann doch zuviel, denn auch wenn es
wegen der Schulregeln keinen Alkoholauf dem Schulgelände gab,
gestaltete sich die ganze Sache je später es wurde, immer
hemmungsloser.
Erst war eine Schülerin mit dem einzigen anwesenden Jungen
verschwunden und später hatten sich zwei Mädchen mit orangenen
Halstüchern in eine Ecke des dafür eigentlich viel zu kleinen
Zimmers verzogen und hemmungslos zu küssen begonnen.
Grundsätzlich hatte Jelena kein Problem damit, aber die als die
beiden schließlich mit ihren Händen immer wilder über ihre
schönen Körper gefahren waren, war Jelena immer verlegener
geworden.
An ihrer alten Schule gab es auch zwei oder drei lesbische
Mädchen, aber die blieben unter sich und zeigten es kaum, um
sich nicht dem Spot auszusetzen.
Hier dagegen schien es überhaupt keinen zu irritieren, außer
Jelena.
Es wurde etwas zu viel für das zurückhaltende Mädchen und als
sie bemerkte, wie die eine, eine Blonde mit großem Busen, der
anderen, ihre Hand langsam unter den Rock schob und sie
offensichtlich zu fingern begann, hatte sie sich mit Müdigkeit
entschuldigt und war gegangen.
Das war nicht einmal gelogen. Die fünfzehnjährige war todmüde
und schläfrig über den jetzt leeren Gang getrottet, als sie
plötzlich dieses leise Stöhnen aus dem Aufenthaltsraum der
zweiten Etage gehört hatte. Der jungen Schülerin war sofort
klar gewesen, was es war, aber ihren schnell gefassten Vorsatz
bloß nicht in den türlosen Raum, den sie passieren musste,
hineinzusehen, schaffte sie nicht durchzuhalten.
Sie blickte hinein und sah den schlanken Rücken des mit freiem
Oberkörper dastehenden Jungen von der Party, der sich
offensichtlich über das leise keuchende Mädchen herüberbeugte,
welches mit weit gespreizten nackten Beinen rücklings auf der
Tischtennisplatte lag.
Es war das erste Mal, dass Jelena Menschen beim Sex nicht nur
hörte, wie bei ihren Eltern, sondern es auch sah und der Anblick
der leicht wippenden schlanken Beine des Mädchens und der
zitternden weißen Pobacken des Jungen, während de rhythmisch
seinen nackten Unterleib gegen ihre Schritt presste, brannte sich
in ihren jungen Verstand.
Es waren dabei nur Sekunden, bis sie an der Tür vorbei war, aber
das Bild blieb auch, als sie endlich in ihrem Zimmer angekommen
war. Schließlich verdrängte sie es jedoch und war, froh
darüber allein zu sein, nur noch schnell noch auf die ja nicht
abschließbare und ihr furchtbar offen vorkommende Toilette
gegangen.
Danach hatte sie eine kurze Katzenwäsche vorgenommen und war in
ihr Bett gefallen und auch recht bald einge schlafen.
Doch irgenwann später wurde sie geweckt. Schläfrig räkelte sie
sich in ihrem Bett und sah Licht durch die leicht beschlagene
Glaswand des Badbereichs fallen.
Man hörte Wasser prasseln und dann sah sie auch Alex' nackten
Körper unter der Dusche, nur durch die Milchglasstreifen etwas
verhüllt.
Sie seifte sich dort gründlich ab und Jelena wurde verlegen, war
aber schlagartig wach. Zudem hatte sie einen Moment lang wieder
diesen komischen aromatisch-süßlichen Geruch, den sie schon im
Verwaltungsgebäude und der Schneiderei wahrgenommen hatte, in
ihrer Nase.
Es verflog zwar gleich wieder, aber trotzdem war es nicht zu
ignorieren und Jelena ertappte sich dabei, wie sie Alex nackten
Körper anstarrte.
Sie hatte eine tolle Figur, doch Jelena riß sich, verlegen über
sich selbst, von dem Anblick los und versuchte wieder
einzuschlafen. Doch sie konnte einfach nicht und blieb wach.
Alex schien derweil fertig zu sein, denn das Wasser ging aus und
man hörte, wie sie sich abtrocknete und mit nassen Füßen durch
das Bad tappste.
Offensichtlich zur Toilette, denn man hörte jetzt den Deckel und
schließlich den scharfen Strahl ihres Urins und dazu ein
erleichtertes Seufzen und dann ein Kichern.
Danach hörte man den Deckel fallen und wie sich Alex die Hände
wusch. Danach kam sie aus dem Bad und legte sich mit einem leisen
Ächzen in ihr Bett.
Jelena wurde im Dunkeln knallrot, denn sie hatte bei einem kurzen
Blinzeln gesehen, dass Alex splitternackt war.
Sie schloß erneut schnell die Augen und hielt still, bis Alex
plötzlich zu kichern begann.
"Jellie?", fragte sie dann und man hörte, wie sie sich zu ihrer
neuen Zimmernachbarin umdrehte.
Jelena erstarrte, antwortete aber nicht, doch ihre Mitbewohnerin
ließ nicht locker.
"Jellie.", sagte sie offensichtlich grinsend und richtete sich
auf, "Ich weiß, dass du nicht schläfst. Schlafende atmen
normal, aber du atmest nicht."
Jelena wurde noch röter und versuchte weiter zu still zuhalten.
Wenn sie jetzt aufgab, würde sie auffliegen, doch Alex begann zu
lachen.
"Pass auf, dass du nicht erstickst.", sagte sie kichernd und
Jelena spürte plötzlich eine sanften Stubs gegen ihr Bein.
Wenn die Betten bloß nicht so dicht stehen würden, dachte sie
kläglich und gab ein mißmutiges Geräusch von sich.
"Was?", entfuhr es ihr ärgerlich, "Ich will schlafen."
"Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht.", sagte Alex
fürsorglich, "Du bist einfach abgehauen."
Jelena verdrehte im Dunkeln die Augen.
"Ich war müde."
Alex gab ein zustimmendes Geräusch von sich.
"Hm, ich dachte, es war wegen Henrieke und ihrer Freundin."
Jelena wusste sofort, wen Alex meinte, doch sie tat ahnungslos.
"Wer?"
Alex kicherte.
"Henrieke Fritz.", sagte sie spöttisch, "Aus der K11. Die
Schauspielerin werden will. Du hast doch mit geredet."
"Sie wollte Ärztin werden.", stöhnte Jelena etwas genervt, doch
Alex ignorierte es.
"Schauspielerin oder Ärztin.", lachte sie, "Aber schön, dass du
dich doch erinnerst."
Natürlich erinnerte sich Jelena. Henrieke hatte neben ihr
gesessen, als diese plötzlich, fast mitten im Gespräch,
angefangen hatte, mit dem Mädchen neben ihr rumzumachen.
"Ja, ok, tue ich.", entfuhr es ihr, "Na und?"
Alex schien kurz etwas beleidigt, doch dann grinst sie wieder.
"Findst du sie hübsch?"
Jelena war irritiert über die Frage. Henrieke war sehr hübsch.
Eigentlich ein totaler Männertraum mit ihren blauen Augen und
dem langen blonden gewellten Haaren, die ihr wunderschönes
Puppengesicht mit der hohen Stirn einrahmten, doch sie verstand
die Frage nicht.
"Ja.", sagte sie dann, "Na und?"
"Ich find sie auch hübsch.", sagte Alex plötzlich für ihren
Charakter ungewohnt nachdenklich, "Sie ist süß."
"Kann ich nicht beurteilen.", murmelte Jelena, "Magst du sie
etwa?"
Man hörte ein zustimmendes Geräusch von Alex.
"Hast du mal darüber nachgedacht, wie es mit einem Mädchen
ist?"
Jelena war etwas geschockt. Sie hatte noch nicht mal einen Freund
gehabt und war ganz sicher nicht lesbisch.
"Nein.", sagte sie knapp, "Hab' ich nicht. Du etwa?"
Man hörte Alex rascheln.
"Irgendwie, ja.", sagte sie immer noch nachdenklich, "Früher
nicht, aber seit ich hier bin, frag' ich mich das. Komisch,
oder?"
Na toll, dachte Jelena. Alex war erst ein paar Wochen hier und
war anscheinend bisexuell geworden. Vielleicht wenig
überraschend, wo hier so wenig Jungs waren, kaum mehr als ein
Drittel und gleichzeitig so viele hübsche Mädchen. Trotzdem
fand Jelena es merkwürdig und fragte sich, wie sie es hier vier
Jahre mit einer verkappten Lesbe aushalten sollte und hätte das
Gespräch am liebsten beendet, wusste aber nicht wie, ohne als
gehemmt auszusehen.
"Weiß ich nicht.", sagte sie darum nur.
Eine Weile war Schweigen und Jelena hoffte bereits, dass Ruhe
wäre, doch dann räusperte sich Alex noch einmal.
"Magst du Kuscheln?"
Jelena schluckte etwas geschockt. Dann drehte sich einfach nur
von ihrer Mitbewohnerin weg und sagte etwas unverständliches,
als wenn sie Alex' Worte nicht richtig mitgekriegt hätte. Das
ging wirklich zu weit, dachte sie jedoch und zog sich das Kissen
über den Kopf. Und wenige Minuten später war sie eingeschlafen.
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Das peinlichste geschah jedoch am nächsten Morgen, als Jelena
gegen viertel Acht von einem zuerst undefinierbaren Geräusch
geweckt wurde.
Einem leisen Rascheln des Bettzeugs oder des Lakens, was einfach
nicht aufhören wollte und im Verlauf immer heftiger und lauter
wurde. Halbwach lauschte Jelena stumm, was es war, doch als sich
ein leises unterdrücktes und schweratmiges Stöhnen darunter
mischte, begriff sie geschockt.
Alex masturbierte sich. Immer lauter stöhnte ihre Mitbewohnerin
dabei und Jelena hörte unglücklich, dieses typische leicht
feucht-glitschende Geräusch.
Es war einfach nur zum fremdschämen und Jelena spürte, wie sie
feuerrot wurde und buchstäblich den Atem anhielt, bis ein leiser
langezogener Seufzer ihr endlich signalisierte, dass es vorbei
war.
Jelena wartete noch einige Minuten, aber dann sprang sie auf und
rannte, ohne ihre nackte, nur halb mit der dünnen Bettdecke
bedeckte und versonnen grinsend da liegende Zimmergenossin zu
würdigen ins Bad.

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